Wir hoffen, dass „Was-ist-Geld.de“ Ihnen gefallen hat und wir die wichtigsten Ihrer Fragen umfassend beantworten konnten. Sollten Sie weiterhin Interesse an Fragen rund zum Thema Geld haben, finden Sie auf den folgenden Seiten weitere Informationen. Sollten Sie Fragen zu diesem Blog haben, wenden Sie sich direkt an Dr. Michael Paetz (michael.paetz@uni-hamburg.de).
Deutschsprachig
BUNDESBANK: Link zur deutschen Zentralbank (BuBa).
DEZERNAT ZUKUNFT: Geld-, Finanz-, und Wirtschaftspolitik verständlich, kohärent, und relevant erklären.
Die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben einer Person oder Gruppe stellt ihre Nettogeldvermögensbildung dar und wird auch als Finanzierungssaldo bezeichnet. Die Analyse solcher Salden wurde in den 1980ern vor allem durch die Veröffentlichungen der Cambridge Economic Policy Group von Wynne Godley und Francis Cripps bekannt (auch New Cambridge School oder Cambridge Keynesian School).1 Auf Basis einer Untersuchung sektoraler Finanzierungssalden der USA warnten Godley und Wray (1999) bereits 1999 davor, dass ein fortwährender Anstieg der privaten Verschuldung drohe, wenn die Regierung trotz Außenhandelsdefizit Einnahmenüberschüsse erziele. Wie wir heute wissen, wurde die private Verschuldungsblase noch mehr als weitere 10 Jahre vom Finanzsektor finanziert, bevor die Immobilienblase platzte und die Weltwirtschaft in den Abgrund riss.
Grundlagen
Wir werden im Folgenden auf eine formale Herleitung der Finanzierungssalden verzichten und verweisen den interessierten Leser auf Paetz (2025, Kap. 1.2). Stattdessen leiten wir die Salden aus der „arithmetisch-trivialen“ Tatsache ab, dass jeder Ausgabe eine Einnahme, jedem Finanzvermögen eine Finanzverbindlichkeit etc. gegenübersteht. 2
Die fundamentale Identität
Zudem erweitern wir die Analyse des vorangegangenen Moduls um die Beziehungen mit dem Rest der Welt und teilen die Welt (aus inländischer Sicht) in drei Sektoren auf: Privater Sektor (Haushalte und Unternehmen), Staat und Ausland. Da ein Finanzierungssaldo (FS) die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben eines Sektors darstellt, muss die Summe der Finanzierungssalden dieser drei Sektoren immer null ergeben:
Diese fundamentale Identität besagt, dass ein positiver Saldo eines Sektors nur möglich ist, wenn die Summe der Salden der beiden anderen Sektoren einen gleichwertig hohen negativen Wert aufweist. Der private Sektor kann nur dann einen Einnahmenüberschuss erzielen, wenn der Staat und das Ausland in der Summe einen gleich hohen Ausgabenüberschuss aufweisen.
Nettogeldvermögensaufbau im Ausland
Innerhalb des Privatsektors gibt es Haushalte und Unternehmen, die weniger ausgeben als einnehmen und solche bei denen es umgekehrt ist. Wenn der Privatsektor als Ganzes sein Nettogeldvermögen erhöhen möchte, geht das aber nur, wenn der staatliche Sektor und/oder das Ausland ihr Nettogeldvermögen abbauen.
Das Inland bildet in der Summe Nettogeldvermögen, wenn seine Einnahmen aus dem Ausland größer sind als die Ausgaben. Der wesentliche Teil der Einnahmen und Ausgaben eines Landes bestehen aus Exporterlösen und Zahlungen für Importgüter.3 Länder mit Exportüberschüssen haben daher in der Regel einen positiven Finanzierungssaldo und erhöhen ihr Nettoauslandsvermögen. Ein Exportdefizit wird hingegen in der Regel von einem negativen Finanzierungssaldo sowie einem Abbau von Auslandsvermögen begleitet.
Auf- und Abbau von Nettogeldvermögen
Im vorangegangenen Modul haben wir für eine geschlossene Volkswirtschaft gezeigt, dass Vermögensbildung nur in Form von Sachvermögensbildung möglich ist. Die hier gemachte Verallgemeinerung zeigt, dass es für den Privatsektor möglich ist, in dem Ausmaße Geldvermögen zu bilden wie Staat und Ausland in der Summe Nettogeldvermögen abbauen. Der Teil der privaten Vermögensbildung, der über die Sachvermögensbildung hinausgeht, entspricht der Nettogeldvermögensbildung des Privatsektors.
Ein Nettoaufbau von Geldvermögen muss nicht zwangsläufig durch eine Zunahme der Forderungen erfolgen. Auch eine Reduktion der Verbindlichkeiten führt zu einer Erhöhung des Nettogeldvermögens. Ebenso muss ein Nettoabbau von Geldvermögen nicht mit einer Reduktion von Forderungen einhergehen, sondern kann auch aus einer Zunahme der Verbindlichkeiten resultieren.
Finanzierungssalden in einer geschlossenen Volkswirtschaft
Bei ausgeglichenem ausländischen Finanzierungssaldo folgt aus der obigen Gleichung, dass die staatliche Neuverschuldung immer der Nettogeldvermögensbildung des Privatsektors entspricht:
Ein Einnahmenüberschuss des Privatsektors ist in einer geschlossenen Volkswirtschaft also nur bei gleichzeitigem Ausgabenüberschuss möglich, also einer Neuverschuldung des staatlichen Sektors. Ein Abbau der Staatsverschuldung entspricht daher notwendigerweise einem Abbau des privaten Nettogeldvermögens. Innerhalb des Privatsektors gibt es natürlich Sparer und Schuldner, aber das Nettogeldvermögen des gesamten Sektors muss zwangsläufig der Nettogeldverschuldung der anderen Sektoren entsprechen.
Historische Entwicklung
Die Betrachtung der deutschen Finanzierungssalden gibt Aufschluss darüber, welche Sektoren zu welcher Zeit Einnahmen- bzw. Ausgabenüberschüsse erzielt haben. Die oben beschriebene fundamentale Identität muss immer erfüllt sein und ist daher unbestritten. Für eine Interpretation mit dem Ziel, Ursachen für die Entwicklung zu identifizieren und ggf. auch Schlussfolgerungen zu ziehen, wird jedoch immer auch eine Theorie benötigt. Die Analyse der Salden ist im Gegensatz zu den nackten Zahlen daher nicht allgemeingültig. Verschiedene Ökonomen werden auf Basis unterschiedlicher theoretischer Ansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
Aufteilung in drei Sektoren
Die Finanzierungssalden der drei Sektoren „Privat“, „Staat“ und „Ausland“ sind für die Jahre 1960-2022 in Abbildung 9 dargestellt (gemessen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts).4 Positive Balken zeigen einen Einnahmenüberschuss, negative einen Ausgabenüberschuss. Die grauen Balken zeigen den Saldo der sogenannten Kapitalbilanz. Diese erfasst alle Veränderungen von Forderungen und Verbindlichkeiten von Inländern gegenüber dem Ausland. Der Saldo der Kapitalbilanz besteht im Wesentlichen aus dem Saldo der Außenhandelsbilanz, also der Differenz aus Im- und Exporten.
Abbildung 9: Finanzierungsalden in Deutschland von 1950-2022
Anmerkung: Gemessen in % des BIP. Quellen: Statistisches Bundesamt (Destatis.de), statistische Anhänge der Gutachten des Sachverständigenrats und Datenbank der europäischen Kommission (Ameco); eigene Berechnungen (CC-0).
Wie die Abbildung zeigt, erzielt der Privatsektor (private Haushalte und Unternehmen) seit den späten 1970ern für nahezu den gesamten folgenden Zeitraum bis heute einen Einnahmenüberschuss. Das einzige Jahr mit einem Defizit ist 2000. Dies lag vor allem an der Versteigerung der Mobilfunklizenzen, für die 6 Mobilfunkbetreiber ca. 51 Mrd. Euro an den deutschen Staat zahlten.
Im Anschluss folgte eine Phase bisher einmalig hoher Einnahmenüberschüsse im Privatsektor, die bis heute andauert. Diese Nettogeldvermögensbildung ist nur möglich durch den negativen Finanzierungssaldo des Auslands aufgrund der ungewöhnlich hohen Exportüberschüsse (aus deutscher Sicht). Da sich die Salden der einzelnen Sektoren immer zu null addieren müssen, ist auch der Rückgang der staatlichen Defizite sowie die Überschüsse der 2010er Jahre nur aufgrund der hohen Exportüberschüsse möglich gewesen. Die gesamtwirtschaftlichen Einnahmenüberschüsse ermöglichten eine gleichzeitige Nettogeldvermögensbildung des privaten wie auch des staatlichen Sektors. Der wirtschaftliche Einbruch aufgrund der Corona-Krise führte zu Einnahmeausfällen des Staates bei gleichzeitiger Ausgabenerhöhung zur Stützung der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Staatshaushalt kippte daher wieder ins Defizit.
Stärker disaggregierte Salden
Die Finanzierungssalden einer Volkswirtschaft lassen sich beliebig kleinteiliger betrachten. Der Privatsektor lässt sich z.B. in Unternehmen (U) und Haushalte (HH) unterteilen:
Abbildung 10 zeigt wie sich die stärker disaggregierten Finanzierungssalden in Deutschland im Zeitablauf verändert haben. Die Salden sind jetzt nicht mehr als kumulierte Balken dargestellt, sondern als Zeitreihen, was die Analyse ihrer Entwicklung vereinfacht. Es lässt sich erkennen, dass der Finanzierungssaldo privater Haushalte in Deutschland in der gesamten Zeitspanne relativ konstant im Durchschnitt bei 5 – 6 % des BIP lag.
Abbildung 10: Stärker disaggregierte Finanzierungssalden in Deutschland
Anmerkung: Gemessen in % des BIP. Quellen:Statistisches Bundesamt, statistische Anhänge der Gutachten des Sachverständigenrats und Datenbank der europäischen Kommission (Ameco); eigene Berechnungen (CC-0).
In den sogenannten „goldenen Zeiten des Kapitalismus“ (die 1950er und 60er Jahre) war der Staatshaushalt sowie der Außenhandel relativ ausgeglichen. Die Unternehmen haben ihr Nettogeldvermögen in etwa in der Höhe abgebaut, in der die privaten Haushalte Nettogeldvermögen gebildet haben. In dieser Zeit haben deutsche Unternehmen hohe Investitionsausgaben getätigt und so das deutsche Wirtschaftswunder ermöglicht. Dies begann sich spätestens Mitte der 1980er Jahre zu ändern. Seitdem verringert sich das Finanzierungsdefizit des Unternehmenssektors zunehmend, weil die Investitionen im Verhältnis zum BIP abnehmen. Stattdessen gerieten die Regierung oder das Ausland in eine Defizitposition.
Interpretation
Wenn Sie die Pfeile nach links und rechts drücken, können Sie die Finanzierungssalden für die einzelnen Jahrzehnte durchgehen:
Von 1950 bis 1959 lag das Finanzierungsdefizit des Unternehmenssektors im Durchschnitt bei etwas mehr als 6 % des BIP, während der ausländische Finanzierungssaldo lediglich bei etwa -2 % lag. Staat und private Haushalte konnten beide einen Einnahmenüberschuss erzielen. In 1953 wurden dem deutschen Staat aufgrund des Londoner Abkommens Kriegsschulden erlassen, was einen Transfer vom Ausland zum Staatssektor darstellt und den starken Ausschlag der beiden Finanzierungssalden dieser Sektoren erklärt.5
Von 1960 bis 1969 waren die Budgetsalden von Staat und Ausland relativ ausgeglichen. Die Nettoneuverschuldung des Unternehmenssektors ging mit einer Nettogeldvermögensbildung im Privatsektor einher. Die Investitionen waren in dieser Zeit (wie auch im vorangegangenen Jahrzehnt) sehr hoch und können den Ausgabenüberschuss der Unternehmen erklären. Die dynamische Investitionstätigkeit dieser beiden Jahrzehnte stellt die Grundlage für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit dar.
In den Jahren von 1970 bis 1979 begann die Nettoneuverschuldung des Unternehmenssektors zu fallen. Nach der ersten Ölpreiskrise in 1973 geriet die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession und die Unternehmen reduzierten ihre Ausgaben, wodurch auch ihr Finanzierungsdefizit schrumpfte.
Aufgrund der sinkenden Steuereinnahmen bei einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung und der tendenziell steigenden staatlichen Ausgaben entstand beim Staat ein Finanzierungsdefizit. Dies ermöglichte es den privaten Haushalten, weiterhin eine deutlich positive Nettogeldvermögensbildung zu erzielen.
Von 1980 bis 1989 schritt diese Entwicklung fort und die Unternehmen wurden für einige Jahre sogar zu Nettosparern. Durch die Außenhandelsüberschüsse dieser Zeit wuchs derweil die Nettoneuverschuldung des Auslands.
Die Zeit von 1990 bis 1999 war zunächst von der Wiedervereinigung geprägt. Staat und Unternehmen erhöhten ihre Investitionsausgaben in den neuen Bundesländern und erzielten entsprechende Finanzierungsdefizite. In 1995 wurde die Treuhandanstalt aufgelöst und es kam zu einem Privatisierungsverlust von ca. 200 Mrd. D-Mark, was einen Transfer vom Staats- zum Unternehmenssektor bedeutete und die Ausschläge der entsprechenden Finanzierungssalden in diesem Jahr erklärt.6 Die positive wirtschaftliche Entwicklung Ende der 1990er Jahre war auch der New-Economy Blase geschuldet, die sich in diesen Jahren aufbaute. Dies erhöhte die Steuereinnahmen sowie die privaten Ausgaben, wodurch das staatliche Finanzierungsdefizit schrumpfte.
Das Ausland erzielte in diesem Jahrzehnt aus 2 Gründen einen leichten Einnahmenüberschuss. Zum einen waren die neuen Bundesländer international nicht besonders wettbewerbsfähig und im Gegensatz zu den alten Bundesländern daher keine Nettoexporteure. Während Westdeutschland 1989/90 historisch einmalige Außenhandelsüberschüsse erzielte, war der Außenbeitrag der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung so negativ, dass auch der gesamtdeutsche Außenbeitrag unter null sank. Zum anderen führte der Aufschwung dazu, dass Inländer aufgrund ihres gestiegenen Einkommens mehr Produkte aus dem Ausland importierten.
In den Jahren von 2000 bis 2009 wurden die deutschen Unternehmen dann endgültig zu Nettosparern. Dies könnte damit zusammenhängen, dass nach Platzen der New-Economy Blase in 2001 die Bilanzen vieler deutscher Unternehmen in eine Schieflage geraten waren.7 Während der Aktienmarktblase verschuldete sich der Privatsektor zunehmend. Die hoch bewerteten Aktien konnten als Sicherheit für Kredite verwendet werden und ließen viele Menschen positiv in die Zukunft blicken. Nach dem Platzen der Blase (in 2001) entpuppte sich der vermeintliche Vermögenszuwachs aber als reine Luftbuchung.
Der Privatsektor (Unternehmen und Haushalte) verringerte daraufhin seine Ausgaben, um die zuvor aufgebaute Verschuldung wieder zu reduzieren. Die gesunkene Ausgabefreudigkeit führte in Deutschland in den Folgejahren zu einer Rezession, die mit sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialtransfers einherging. Trotz der Sparanstrengungen des damaligen Finanzministers Hans Eichel stieg das Finanzierungsdefizit des Staates wieder an. Zusätzlich führte die Unternehmenssteuerreform der Rot-Grünen Regierung in dieser Zeitspanne zu einer geringeren Belastung der Unternehmen und trug so zur Nettogeldvermögensbildung im Unternehmenssektor bei.
Ähnliches wie nach 2001 passierte auch nach der globalen Finanzkrise in 2008, als das Platzen der Immobilienblase zu einem weltweiten Fall der Wertpapierkurse führte. In der Zeit nach 2010 änderte sich an dem Verhalten des deutschen Unternehmenssektors daher wenig. Da die Exportüberschüsse jedoch immer weiter anwuchsen, war es in den Jahren von 2012 – 2019 sogar möglich, dass alle inländischen Sektoren (inkl. des Staats) einen positiven Finanzierungssaldo erzielten (bei immer stärker zunehmender Verschuldung des Auslands). In 2020 änderte sich dies, weil die Regierung ein staatliches Defizit von mehr als 4 % in Kauf nahm, um die Einnahmeausfälle des Privatsektors während des staatlich verhängten Lockdowns zumindest teilweise zu kompensieren. Haushalte und Unternehmen erzielten daher netto einen hohen Einnahmenüberschuss.
Unternehmen als Nettosparer?
Der deutsche Unternehmenssektor ist ca. um die Jahrtausendwende zum „Nettosparer“ geworden.8 Ähnliche Entwicklungen sind in vielen Industrienationen seit den 1980ern zu beobachten, wie Abbildung 11 veranschaulicht.
Abbildung 11: Finanzierungssalden der Unternehmenssektoren international
Anmerkung: Gemessen in % des BIP. 5-Jahres-Durchschnitte. GER: Deutschland, GBR: Großbritannien, JAP: Japan, FRA: Frankreich, ITA: Italien, ESP: Spanien, POR: Portugal, FIN: Finnland. Quellen:Statistisches Bundesamt, statistische Anhänge der Gutachten des Sachverständigenrats, Datenbank der europäischen Kommission (Ameco) und FRED-Datenbank der Federal Reserve Bank of St. Louis (fred.stlouisfed.org); eigene Berechnungen (CC-0).
Ein positiver Finanzierungssaldo des Unternehmenssektors ist nur möglich, wenn Haushalte, Staat und Ausland in der Summe einen Ausgabenüberschuss erzielen. Haushalte häufen i.d.R. Geldvermögen an, um für das Alter oder unvorhergesehene Ereignisse sparen. Zudem investieren sie i.d.R. nicht, sodass sie nur wenig Kredite aufnehmen, um Investitionsprojekte zu finanzieren.9
Da die Summe aller ausländischen Finanzierungssalden null ergibt, weil die Einnahmenüberschüsse eines Landes den Ausgabenüberschüssen der anderen Länder entsprechen, ist häufig ein staatliches Haushaltsdefizit die Kehrseite der Nettogeldvermögensbildung im Unternehmenssektor. Eine Haushaltskonsolidierung könnte die Einnahmenüberschüsse der Unternehmen zwar verringern, weil weniger öffentliche Aufträge an private Unternehmen vergeben werden, würde vermutlich aber auch die wirtschaftliche Entwicklung bremsen.
Angebotsseitige Erklärungen
Dass Unternehmen in den allermeisten Industrienationen geichzeitig zu Nettosparern geworden sind, kann zu einem Problem werden, sofern eine positive wirtschaftliche Dynamik nur noch mit steigenden staatlichen Nettoausgaben gewährleistet werden kann. Ob der Einnahmenüberschuss im Unternehmenssektor tatsächlich Schwierigkeiten verursacht, welche Ursachen er hat und wie man ihn ggf. wirtschaftspolitisch beeinflussen kann, hängt von der theoretischen Brille ab, mit der die Zahlen betrachtet werden.
Ökonomen, die eher neoklassiche geprägt sind, werden die geringe Ausgabefreudigkeit der Unternehmen vor allem auf falsche staatliche Rahmenbedingungen zurückführen. Bürokratische Auflagen sowie zu hohe Steuerbelastungen und Löhne hielten Unternehmen davon ab, Investitionen zu tätigen. Eine Veränderung dieses Umstands erfordere daher angebotsseitige Reformen, die zu einer Entlastung der Unternehmen führen sollen.
Nachfrageseitige Erklärungen
Dao & Maggi (2018) vom IWF sehen in der gestiegenen Ungleichheit hingegen einen Grund für die Nettogeldvermögensbildung im Unternehmenssektor. Dies hätte die Konsumfreude gemindert und folglich den Anreiz zur Erweiterung der Produktionskapazitäten verringert. Die Unternehmenssteuersenkungen, die in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung durchgeführt wurden, gingen daher nicht mit höheren Investitionsausgaben, sondern höheren Einnahmenüberschüssen einher.
Ähnlich argumentieren postkeynesianisch geprägte Ökonomen, die vor allem eine zu geringe Nachfrage für die Unternehmensüberschüsse verantwortlich machen. Die schwache Lohnentwicklung der letzten Jahrzehnte habe die Investitionsdynamik aber nicht nur indirekt beeinflusst. Höhere Lohnkosten würden Unternehmen veranlassen, in arbeitssparende Technologien zu investieren und wirken daher wie eine „Produktivitätspeitsche“. Wer über Lohnsenkungen seine Wettbewerbsfähigkeit erhöht, kann sich hingegen auch mit alten Technologien oder Strukturen am Markt behaupten.
Wir werden im letzten Modul auf weitere postkeynesianische Erklärungen für die Einnahmenüberschüsse der Unternehmen eingehen. Dort werden wir auch die „Hypothese der finanziellen Instabilität“ diskutieren, aus der folgt, dass der regelmäßige Zusammenbruch von Finanzierungsprozessen in einem auf Kredit basierten Geldsystem dazu führt, dass Unternehmen ihre Investitionsausgaben reduzieren, um stattdessen ihre Schulden zurückzuzahlen. Eine ähnliche Theorie hat der taiwanesische Finanzmarktanalyst Richard Koo zur Erklärung der langen Rezessionsphase in Japan entwickelt. Er spricht von einer Bilanzrezession, weil der bilanzielle Wert der Forderungen des Unternehmenssektors einbricht und diese hierdurch faktisch insolvent wären (siehe Koo (2011) und Koo (2014)).
Profite ohne Investitionen
Postkeynesianische Ökonomen und Politikwissenschaftler machen zudem den allgemeinen Trend zu einer größeren Bedeutung des Finanzsektors, den sie als „Finanzialisierung“ bezeichnen, für die zunehmende Nettogeldvermögensbildung des Unternehmenssektors verantwortlich.10 Grob vereinfacht könnte man sagen, dass der Shareholdervalue-Kapitalismus, der sich in den 1980er Jahren zunächst in den USA und Großbritannien durchsetzte, Unternehmen dazu anhielte, sich primär an der Bewertung am Aktienmarkt zu orientieren. Dies habe dazu beigetragen, dass der kurzfristige Cash-Flow einer Firma wichtiger wurde als langfristige Investitionen.
Die realwirtschaftliche Produktion verliere durch den Finanzsektor aber zunehmend an Bedeutung, weil Unternehmen versuchen würden, über Finanzprodukte Gewinne zu realisieren, ohne selber Investitionen zu tätigen. So führe die Ausweitung des Finanzsektors zu fallenden Investitionsausgaben, die für den Rückgang des Produktivitätswachstums in nahezu allen Industrienationen seit den 1980ern verantwortlich wären. Zudem muss ein immer größerer Anteil der gesamtwirtschaftlichen Erträge für das Einkommen des Finanzsektors aufgebracht werden (siehe Bezemer & Hudson (2016)).
Finanzierungs- vs. Gewinn- und Verlustrechnung
Ein häufiges Missverständnis entsteht durch die Verwechslung der Finanzierungsrechnung mit der Gewinn- und Verlustrechnung. Oft wird argumentiert: „Unternehmen müssen Gewinne erzielen und können sich nicht dauerhaft verschulden.“ Dabei zeigen die Finanzierungssalden lediglich die Veränderung des Nettogeldvermögens an, also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Im Gegensatz dazu basiert der Gewinn eines Unternehmens auf der Differenz aus Ertrag und Aufwand, was der Nettovermögensbildung entspricht.
Es ist möglich, das Nettovermögen zu steigern, selbst wenn ein negativer Finanzierungssaldo vorliegt, solange die Sachvermögensbildung eines Unternehmens die Nettoneuverschuldung übersteigt. Beispielsweise kann ein Unternehmen einen Kredit aufnehmen, um eine Maschine zu erwerben. Diese Anschaffung stellt zwar eine Ausgabe dar, jedoch keinen Aufwand, da das Sachvermögen in dem gleichen Maß zunimmt, in dem das Geldvermögen abnimmt. Diese Transaktion reduziert also das Nettovermögen nicht und führt folglich zu keinem Verlust. Die Gewinne, die durch den Einsatz der Maschine erzielt werden, tragen dann zur Erhöhung des Nettovermögens bei, selbst wenn der Finanzierungssaldo negativ ist.
Unternehmen vs. Haushalte
Die Nettoverschuldung der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften lag im Jahr 2022 bei etwa -1,9 Billionen Euro. Trotzdem belief sich das Nettovermögen auf mehr als 5 Billionen Euro. Da Unternehmen in der Regel durch Investitionen ihre zukünftigen Gewinne steigern, sind sie in der Lage, aufgenommene Kredite zu einem späteren Zeitpunkt zu tilgen und gegebenenfalls neue Kredite zur Finanzierung weiterer Investitionen aufzunehmen. Unternehmen können daher über längere Zeiträume hinweg Ausgabenüberschüsse verzeichnen und dennoch Gewinne erzielen.
Ein dauerhaftes Finanzierungsdefizit privater Haushalte ist hingegen häufig nicht tragbar. Da Haushalte in der Regel nicht investieren, würde ein negativer Finanzierungssaldo auch einen Abbau des Nettovermögens bedeuten, den sie nicht durch steigende zukünftige Einkommen ausgleichen können. Allerdings gibt es auch bei privaten Haushalten Möglichkeiten, das zukünftige Einkommen mithilfe von Ausgabenüberschüssen zu erhöhen. Ein kreditfinanzierter Immobilienkauf kann beispielsweise zukünftige Einnahmen generieren oder die künftigen Ausgaben verringern, wenn die Immobilie selbst genutzt wird und dadurch Mietkosten entfallen. Auch kreditfinanzierte Bildungsausgaben können langfristig zur Steigerung des Einkommens beitragen.
MERKE
Ein Finanzierungssaldo entspricht der Differenz aus Einnahmen und Ausgaben, also der Nettogeldvermögensbildung (einer Person oder Gruppe).
Da eine Nettogeldvermögensbildung in einem geschlossenen System nicht möglich ist, addieren sich alle Finanzierungssalden weltweit zu null.
Eine offene Volkswirtschaft (inkl. Außenhandel) kann in der Höhe Nettogeldvermögen bilden, in der das Ausland Ausgabenüberschüsse erzielt (Nettogeldvermögen abbaut bzw. Verschuldung aufbaut).
Der Teil der Vermögensbildung („Ersparnis“), der über die Sachvermögensbildung hinausgeht, stellt somit Forderungen gegenüber dem Ausland dar und erhöht das Nettoauslandsvermögen.
In den letzten Jahrzehnten ist in vielen Industrienationen der Unternehmenssektor zum „Nettosparer“ geworden.
Literatur
BEZEMER, D. & M. HUDSON (2016). “Finance Is Not the Economy: Reviving the Conceptual Distinction,” Journal of Economic Issues, 50(3), 745–768.↵
BUNDESBANK (2006). “Zur jüngeren Entwicklung der Kredite deutscher Banken an inländische Unternehmen und Privatpersonen,” Deutsche Bank Monatsbericht, Juli, 15–31.↵
DAO, M. UND C. MAGGI (2018). The Rise in Corporate Saving and Cash Holding in Advanced Economies: Aggregate and Firm Level Trends, IMF Working Papers 18/262, International Monetary Fund.↵
GODLEY, W. UND M. LAVOIE (2007). Monetary Economics – An Integrated Approach to Credit, Money, Income, Production and Wealth, Palgrave MacMillan.↵
GODLEY, W. UND L. R. WRAY (1999). “Can Goldilocks Survive?” Economics Policy Note Archive 99-4, Levy Economics Institute.↵
HEIRES, M. UND A. NÖLKE (2011). “Finanzkrise und Finanzialisierung,” in Die Internationale Politische Ökonomie der Weltfinanzkrise, Springer VS, 37–52.↵
KOO, R. C. (2011). “The world in balance sheet recession: causes, cure, and politics,” real-world economics review, 19–37.↵
KOO, R. C. (2014). The Escape from Balance Sheet Recession and the QE Trap: A Hazardous Road for the World Economy, John Wiley & Sons.↵
PAETZ. M. (2025). “Geldtheorie und Geldpolitik,” Schäffer-Poeschel.↵
VAN TREECK, T., E. HEIN, UND P. DÜNHAUPT (2007). “Finanzsystem und wirtschaftliche Entwicklung: neuere Tendenzen in den USA und in Deutschland aus makroökonomischer Perspektive,” IMK Studies 05/2007, Institut für Makroökonomie.↵
Manche Menschen sparen auf einem Bankkonto, andere legen Geld in Aktien oder Immobilien an. Vermögensbildung kann sehr verschiedene Formen annehmen, die alle als „Ersparnis“ bezeichnet werden. Da dies häufig zu vermeidbaren Missverständnissen führt, werden wir in diesem Modul einige Begriffe unterscheiden, die dabei helfen, verschiedene Formen der Vermögensbildung zu differenzieren. Wie wir in den vorangegangenen Modulen bereits gesehen haben, können bilanzielle Darstellungen sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, monetäre Phänomene zu analysieren. Daher behandeln wir zunächst Grundlagen der doppelten Buchführung, bevor wir verschiedene Formen von „Ersparnis“ untersuchen.
Grundlagen der doppelten Buchführung
Der italienische Mathematiker Luca Pacioli gilt als Erfinder der doppelten Buchführung und hat bereits 1494 in seinem Buch „Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità“ die Grundlagen für eine bilanzielle Erfassung ökonomischer Größen gelegt. Bilanzen bieten eine übersichtliche und schematische Darstellung, die dabei hilft, eine inkonsistente Argumentation zu vermeiden.
Die folgende Einführung in die doppelte Buchführung beschränkt sich auf die Kernkonzepte, die zum Verständnis der Beziehungen zwischen Zentral- und Geschäftsbanken beitragen. Sie soll und wird nicht den Kriterien einer betriebswirtschaftlichen Steuerprüfung genügen. Wir beginnen mit der Unterscheidung zwischen Bestands- und Stromgrößen, die für das Verständnis von Bilanzen wesentlich ist.
Bestands-und Stromgrößen
„I have found out what economics is; it is the science of confusing stocks with flows.“
Ökonomen unterscheiden zwischen Größen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden, wie z.B. das Vermögen, und solchen, die über einen Zeitraum (also pro Zeiteinheit) erfasst werden, wie z.B. die Ersparnis. Erstere nennt man Bestandsgrößen, letztere Strom- oder Flussgrößen. Um die Entwicklung einer Bestandsgröße zu beschreiben benötigt man die Stromgröße, welche die Veränderung des Bestands beschreibt: Die Bestandsgröße Vermögen am Ende dieses Jahres entspricht der Bestandsgröße Vermögen am Ende des letzten Jahres zuzüglich der Stromgröße Ersparnis während des laufenden Jahres. Da die Stromgröße Ersparnis häufig mit der Bestandsgröße Vermögen verwechselt wird, verwendet das statistische Bundesamt seit 1995 in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung den Ausdruck „Sparen“ statt Ersparnis.
Ein weiteres wichtiges Beispiel für den Zusammenhang von Bestands- und Stromgrößen ist die Beziehung zwischen Kapitalstock und Investitionen. Der Kapitalstock entspricht dem Bruttoanlagevermögen und repräsentiert in der Produktion eingesetzte Anlagegüter, wie Maschinen oder Fabriken. Er stellt eine Bestandsgröße dar, die zu einem Zeitpunkt (z.B. am Ende des Jahres) gemessen wird, während die Investition eine Stromgröße ist, die über einen Zeitraum erfasst wird (z.B. während eines Jahres). Stellen wir uns den Kapitalstock vereinfacht als einen Bestand von Maschinen vor, dann entspricht der Wert der Maschinen am Ende eines Jahres gerade dem Wert am Ende des vergangenen Jahres zuzüglich der Investitionen in neue Maschinen.
Typische Bestandsgrößen sind Vermögen oder Schuldenstand. Typische Stromgrößen sind Einkommen, Ersparnis oder Neuverschuldung. Tabelle 2 gibt einige Beispiele für Bestands- und Stromgrößen.
Tabelle 2: Bestands- und Stromgrößen
T-Konten und Bilanzen
Essentielle Basis für die doppelte Buchführung sind T-Konten. Grundsätzlich lassen sich mit Hilfe von T-Konten sowohl Bestände als auch Zu- und Abgänge, also Stromgrößen, einer Art erfassen. Der Ausdruck Bilanz ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet so viel wie Waage oder Gleichgewicht („ bi“ für doppelt und „ lanx“ für Schale). Eine Bilanz ist ein T-Konto, das die Bestände aller Vermögenswerte (+) und Schulden (-) bzw. Forderungen (+) und Verbindlichkeiten (-) als Aktiva (+) und Passiva (-) eines Individuums oder einer Gruppe strukturiert zusammenfasst:
Für gewöhnlich wird in keiner Bilanz die Summe der Vermögenswerte exakt der Verschuldung entsprechen. Es gibt einen Restposten, den man als das Nettovermögen bzw. das Reinvermögen bezeichnet (die Differenz zwischen Forderungen/Vermögen und Verbindlichkeiten/Verschuldung). Die Berücksichtigung des Nettovermögens in der Bilanz sorgt dafür, dass Aktiv- und Passivseite gleich groß sind und die Bilanz immer ausgeglichen ist. Das Nettovermögen kann auf beiden Seiten der Bilanz aufgeführt werden. Da Bilanzpositionen nicht negativ sein können, wird es als Ausgleichsposten auf der rechten Seite geführt, sofern die Vermögenswerte die Verschuldung übersteigen. Sollte die Verschuldung hingegen das Vermögen übersteigen, wird es auf der linken Seite der Bilanz geführt werden. Die Bilanz einer Privatperson könnte z.B. so aussehen:
Unterkonten
Eine Bilanz listet die Vermögenswerte (Immobilien, Aktien, Bankeinlagen, Bargeld, etc.) und Verbindlichkeiten (z.B. Hypothekenkredite und Konsumentenkredite) systematisch auf. Jeder einzelne Eintrag kann wiederum in einem (Unter-)T-Konto detaillierter aufgegliedert werden. Zudem können die Veränderungen der Bestandsgrößen in Transaktionskonten aufgeführt werden, die i.d.R. in Aktiv- und Passivkonten unterteilt werden. Sie erfassen den Anfangsbestand (AB) einer Position, ihre Zu- und Abgänge sowie ihren Endbestand (EB), wie in Abbildung 4 dargestellt.
Abbildung 4: Bilanzierungsbeispiel mit Unterkonten
In den Aktivkonten werden die Anfangsbestände der Vermögenswerte auf der Soll-Seite (links) verbucht, in den Passivkonten werden die Anfangsbestände der Verbindlichkeiten auf der Haben-Seite (rechts) verbucht. Zugänge sind entsprechend im Aktivkonto auf der Soll- und im Passivkonto auf der Habenseite zu finden. Umgekehrt verhält es sich mit den Abgängen in einem Unterkonto. Die Salden der Aktiv- und Passivkonten ergeben dann den Endbestand und somit die Einträge der Unterkonten in der Bilanz. Für unsere Zwecke wird es meistens ausreichen, die Bilanzen ohne Aktiv- und Passivkonten zu betrachten und Veränderungen mit „ +“ oder „ -“ darzustellen.
Aktiv- und Passivtausch
Die Buchungen in einer Bilanz werden häufig mit Hilfe eines Buchungssatzes verkürzt wiedergegeben. Nehmen wir an, unsere Beispielperson kauft mit ihren Bankeinlagen für 5 Euro zusätzliche Aktien. Dann wäre der entsprechende Buchungssatz „ (Per) Aktien an Bankeinlagen 5 Euro. Zunächst wird das Unterkonto genannt, in dem auf der linken Seite (der Soll-Seite) gebucht wird, dann das Unterkonto, bei dem auf der rechten (der Haben-Seite) gebucht wird. Da im Deutschen auch von links nach rechts gelesen wird, kann man sich dies relativ einfach merken. Anders ausgedrückt wird zunächst das Konto genannt, für das die finanziellen Mittel aufgewendet werden (Mittelverwendung), und dann das Konto, von dem die Mittel genommen werden (Mittelherkunft). Verbunden werden die beiden Konten mit dem Wort „ an“. Man bucht also immer „ (Per) Soll an Haben“. Die Veränderung der Konten unserer Beispielperson ist im oberen Abschnitt von Abbildung 5 dargestellt.
Abbildung 5: Aktiv- und Passivtausch
In diesem Beispiel hat der zusätzliche Kauf der Aktien lediglich zu einer Veränderung auf der Aktivseite der Bilanz geführt. Es waren daher auch nur die Aktivkonten von dem Vorgang berührt. Man spricht in diesem Fall auch von einem Aktivtausch. Eine Buchung, die lediglich die Passivseite betrifft, nennt man dementsprechend einen Passivtausch. Unsere Beispielperson könnte sich zum Beispiel 100 Euro von ihrem Nachbarn leihen, um einen Teil der Hypothek zurückzuzahlen. In diesem Fall wäre der Buchungssatz „ Hypotheken an Kredite 100 Euro (also wieder: Soll an Haben) und es würde das neue Unterkonto „Kredite“ auf der Passivseite der Bilanz aufgeführt werden, wie im unteren Teil in Abbildung 5 dargestellt. Der Saldo auf dem Passivkonto „ Hypotheken“ beträgt jetzt nur noch 400 Euro. Das Nettovermögen der Privatperson hat sich aber nicht verändert, weil nun ein zusätzlicher Kreditvertrag mit dem Nachbarn besteht. Lediglich die Zusammensetzung der Verbindlichkeiten ist nun eine andere.
Bilanzverlängerung und -verkürzung
Neben Aktiv- und Passivtausch gibt es noch die sogenannte Bilanzverlängerung bzw. -verkürzung. Hiermit werden Transaktionen bezeichnet, welche die Aktiv- und Passivseite um denselben Betrag erhöhen bzw. vermindern. Würde sich unsere Beispielperson dazu entscheiden, einen weiteren Kredit in Höhe von 100 Euro aufzunehmen, um damit zusätzliche Aktien zu kaufen, so wäre der entsprechende Buchungssatz „Aktien an Kredite 100 Euro“. Auf der Passivseite würden sich die Verbindlichkeiten (Kredit) und auf der Aktivseite das Konto „Aktien“ um den gleichen Betrag von 100 Euro erhöhen.11 Dieser Vorgang ist in der oberen Hälfte von Abbildung 6 gezeigt. Die Bilanz wäre entsprechend um 100 Euro verlängert worden. Die untere Hälfte zeigt eine Bilanzverkürzung. Unsere Beispielperson verwendet 5 Euro ihrer Einlagen, um in einem Café ein Eis zu kaufen. Da es sich bei dem Eis um ein Konsumgut handelt, das sofort verspeist wird, und nicht um ein längerfristiges Gut wie eine Immobilie, ist die Gegenbuchung eine Reduktion des Nettovermögens. Im Ergebnis wurde die Bilanz um 5 Euro verkürzt.
Abbildung 6: Bilanzverlängerung und Verkürzung
In den obigen Beispielen hat lediglich der Eiskauf zu einer Veränderung des Nettovermögens geführt. Weder der Kauf von Aktien aus dem eigenen Einlagenbestand noch der Kauf mit Hilfe eines neuen Kredits hat die Differenz zwischen Forderungen und Verbindlichkeiten verändert. Nur der Erwerb eines Konsumgutes, welches sofort verbraucht wird, ändert das Nettovermögen, weil der Ausgabe kein neuer Vermögenswert gegenübersteht. Die Bilanz ist aber in jedem Fall ausgeglichen, unabhängig davon, ob es sich um einen Aktiv- oder Passivtausch bzw. eine Bilanzverlängerung oder -verkürzung handelt. Aktiv- und Passivseite sind immer gleich groß.
Formen der Vermögensbildung
Die Stromgröße Ersparnis (oder auch Sparen) entspricht dem Teil des Einkommens, der nicht zum Konsum verwendet wird. Sie wird daher von vielen Menschen als Konsumzurückhaltung interpretiert oder gar mit der Bestandsgröße Vermögen verwechselt. Ersparnis ist aber Vermögensbildung, also die Veränderung des Vermögens. Sie kann zudem verschiedene Formen annehmen und muss nicht zwangsläufig mit einer Reduktion der Konsumausgaben einhergehen (möglich wäre z.B. auch eine Erhöhung des Einkommens). Im Folgenden werden verschiedene Formen der Vermögensbildung präzisiert, um Missverständnisse zu eliminieren, die dem Verständnis der späteren Module im Wege stehen würden.
Netto-, Geld- und Sachvermögen
Die bilanzielle Darstellung in Abbildung 8 veranschaulicht verschiedene Vermögensbegriffe, die wir regelmäßig verwenden werden.12 Zum Zahlungsmittelbestand zählt man das Bargeld, welches wir in Form von Scheinen und Münzen in unseren Brieftaschen, unter dem Kopfkissen etc. aufbewahren, sowie das Giralgeld, also der Bestand von Einlagen auf unseren Bankkonten. Nimmt man die sonstigen Geldforderungen hinzu, wie Wertpapiere, Termingelder etc., ergibt sich das Bruttogeldvermögen. Ziehen wir vom Bruttogeldvermögen die Geldschulden ab, verbleibt das Nettogeldvermögen. Häufig wird auch vereinfacht vom Geldvermögen gesprochen, wenn das Nettogeldvermögen gemeint ist.
Das Reinvermögen bzw. Nettovermögen erhält man dann, indem man zum Nettogeldvermögen noch das Sachvermögen hinzuzählt, welches aus allen denkbaren Sachwerten, also langlebigen Gütern besteht. Dies können Kühlschränke, Autos, Immobilien, die heimische Stereoanlage, der Laptop, das Handy usw. sein. Im volkswirtschaftlichen Rechnungswesen entspricht das Sachvermögen dem Anlagevermögen sowie Grund und Boden. Zum Anlagevermögen zählen nur Güter, die längerfristig in der Produktion eingesetzt werden (Bauten, Maschinen, Software etc.).
Die bisher genannten Definitionen beziehen sich auf die Bestände in einer Bilanz. Mit ihrer Hilfe lassen sich aber auch Veränderungen präzise benennen. Veränderungen des Zahlungsmittelbestandes bezeichnet man als Einzahlung bzw. Auszahlung, Veränderungen des (Netto-)Geldvermögens als Einnahme bzw. Ausgabe und Veränderungen des Nettovermögens als Ertrag bzw. Aufwand. Die letztgenannten Begriffe werden bei Privatpersonen auch als Einkommen bzw. Konsum bezeichnet.
Einnahmen und Ausgaben vs. Einkommen und Konsum
Einnahmen sollten nicht mit Einkommen verwechselt werden. So kann sich das Geldvermögen eines Unternehmens auch erhöhen, wenn z.B. eine Maschine verkauft wird. Hierdurch würde sich das Sachvermögen reduzieren, aber das Geldvermögen ansteigen (Aktivtausch). Das Nettovermögen hätte sich in diesem Fall aber nicht verändert. Der Vorgang führt zu einer Einzahlung, die auch eine Einnahme darstellt, aber keinen Ertrag. Bekommt man hingegen zum Monatsersten sein Gehalt überwiesen, so erhöht sich der der Zahlungsmittelbestand, das Geldvermögen und auch das Nettovermögen. Die Überweisung stellt in diesem Fall Einkommen, Einnahme und Ertrag dar.
Eine Ausgabe sollte auch nicht mit Konsum verwechselt werden. Konsum beschreibt den Verbrauch von Gütern. So wäre der Konsum einer guten Flasche Rotwein eine Verringerung des Sachvermögens, weil der Bestand des Weinkellers verringert wurde. Gleichzeitig findet eine Reduktion des Nettovermögens statt, nicht aber eine Reduktion des Geldvermögens, sofern sich die Flasche bereits im Besitz des Trinkers befand. Der Verbrauch stellt einen Konsum (= Aufwand) dar, aber keine Ausgabe wie auch keine Auszahlung. In der Vermögensrechnung des statistischen Bundesamtes wäre die Flasche Rotwein allerdings bereits beim Kauf des Endverbrauchers als Konsumgut gewertet worden und bestenfalls dem Gebrauchsvermögen, nicht aber dem Sachvermögen zugeordnet worden.
Ein- und Auszahlungen
Wird der Kauf einer Aktie z.B. mit Bankeinlagen gezahlt, so stellt der Kauf eine Auszahlung, aber keine Ausgabe und keinen Aufwand dar. Der Zahlungsmittelbestand verringert sich, ohne dass sich Geld- oder Nettovermögen ändern. Der Barkauf einer Maschine wäre hingegen eine Ausgabe sowie eine Auszahlung, aber kein Aufwand. Der Zahlungsmittelbestand und das Geldvermögen sinken, ohne dass sich das Nettovermögen ändert.
Der Verkauf eines Anlagegutes gegen Bargeld stellt eine Einzahlung sowie eine Einnahme dar, weil sich der Zahlungsmittelbestand wie auch das Geldvermögen erhöht, aber keinen Ertrag, weil sich das Nettovermögen nicht ändert. Die Bezahlung eines Kinobesuchs mit Bargeld wäre eine Auszahlung, eine Ausgabe und ein Aufwand (Konsum). Führt der Verkauf einer Aktie zu einer Erhöhung der Bankeinlagen, stellt der Vorgang eine Einzahlung, aber keine Einnahme und keinen Ertrag dar, weil die sonstigen Geldforderungen um den gleichen Betrag gesunken, wie die Zahlungsmittel gestiegen sind. Der Zusammenhang zwischen den Strom- und Bestandsgrößen im Rahmen der Vermögensrechnung ist in Tabelle 3 zusammengefasst.
Tabelle 3: Zusammenhang von Bestands- und Stromgrößen
Häufig werden gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zunächst unter Vernachlässigung von Außenhandelsbeziehungen untersucht (in einer sogenannten geschlossenen Volkswirtschaft). Erst im Nachhinein wird die Analyse dann um die Außenhandelsbeziehungen erweitert. Da innerhalb eines abgeschlossenen Systems die Ausgaben einer Person immer den Einnahmen einer anderen entsprechen, kann eine solche Volkswirtschaft kein Nettogeldvermögen bilden.
Ausgaben sind Einnahmen
Eine Person oder Gruppe kann nur dann mehr einnehmen als ausgeben, also einen Einnahmenüberschuss erzielen, wenn alle anderen in der Summe in exakt gleicher Höhe einen Ausgabenüberschuss verzeichnen, also mehr ausgeben als einnehmen. Betrachten wir eine Beispielökonomie, die aus nur 2 Personen besteht. Person A stellt Nahrungsmittel her und Person B Kleidungsstücke. Nehmen wir an, beide kaufen sich gegenseitig Waren im Wert von 1000 Euro ab. Dann entsprechen die Ausgaben der einen Person gerade den Einnahmen der anderen und beide haben einen ausgeglichenen Budgetsaldo (Einnahmen = Ausgaben). Nehmen wir nun an, Person A möchte Vermögen bilden, indem sie weniger ausgibt als sie einnimmt. Gehen wir davon aus, sie kauft nur noch Waren im Wert von 800 Euro von Person B ab, weil sie 200 Euro sparen möchte. Mit der Ersparnis von Person A sinken nun aber auch die Einnahmen von Person B. Um weiterhin Waren im Wert von 1000 Euro von Person A abzukaufen, müsste sich Person B verschulden. Person A könnte ihr die 200 Euro leihen, die sie nicht ausgegeben hat.
Die Ersparnis (der Vermögensaufbau) von A ist aber nur dann möglich, wenn sich B in der laufenden Periode verschuldet. Angenommen, Person B wäre nicht bereit, sich zu verschulden. Wenn sie ihre Ausgaben reduziert, um sie den gesunkenen Einnahmen anzupassen, kann auch Person A kein Vermögen bilden. Gibt Person B nämlich nur 800 Euro aus, dann sinken wiederum die Einnahmen von Person A und entsprechen wieder ihren Ausgaben. Der Einnahmenüberschuss von A verschwindet, weil B keinen Ausgabenüberschuss zulässt. Unter diesen Umständen ist Person A also gezwungen, ihren Sparplan zu ändern, will sie ihren Ausgabeplan aufrecht erhalten.
Die Nettoweltverschuldung beträgt null
Ein Ausgabenüberschuss kann auch aus einem angesparten Vermögen getätigt werden. In diesem Fall würde das Vermögen der entsprechenden Person in der laufenden Periode sinken. Der Einnahmenüberschuss ist dennoch nur möglich, weil es auch einen Ausgabenüberschuss gibt. Zudem kann das angesparte Vermögen nur aus Einnahmenüberschüssen der Vergangenheit entstanden sein. Einem Geldvermögen muss zwangsläufig eine ebenso hohe Verschuldung gegenüberstehen. Man kann also nur dann Geldvermögen bilden, solange alle anderen Wirtschaftssubjekte in exakt gleicher Höhe Geldvermögen abbauen. Der eigenen Forderung muss eine ebenso hohe Verbindlichkeit gegenüberstehen.
Lege ich meinen Einnahmenüberschuss z.B. in einen Fonds an, steht meiner Vermögensbildung ein Schuldverhältnis des Fonds gegenüber. Beim Kauf einer Unternehmensanleihe steht meiner Forderung eine Verbindlichkeit des entsprechenden Unternehmens gegenüber, usw. In unserem Beispiel steht der potentiellen Vermögensbildung von Person A eine potentielle Verschuldung der Person B gegenüber (sofern B überhaupt bereit ist, sich zu verschulden und A Ersparnisse bilden zu lassen). Da Schulden und Vermögen sich global immer zu null addieren müssen, ist die Nettoverschuldung global natürlich null.13 Die Welt als Ganzes hat ja keinen außerirdischen Sparer, bei dem sie sich verschulden könnte, bzw. keinen außerirdischen Schuldner, der ihr eine Ersparnis ermöglicht.
Gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung ist Sachvermögensbildung
Wie das vorangegangene Beispiel gezeigt hat, bleibt nach Verrechnung aller Forderungen und Verbindlichkeiten für die gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung lediglich die Sachvermögensbildung übrig, die volkswirtschaftlich auch als Investition bezeichnet wird. Demnach muss die gesamtwirtschaftliche Ersparnis (Vermögensbildung) den Investitionen entsprechen.
Viele schließen aus dieser Identität vorschnell, dass Ersparnisse, im Sinne von vorhandenem Geldvermögen, Investitionen finanzieren würden. Wie wir wissen verleihen Banken aber keine vorhandenen Spareinlagen, sondern neu geschaffene. Da diese Identität jederzeit gilt, kann man gesamtwirtschaftlich auch keine Ersparnisse anhäufen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu investieren, weil die Ersparnis der Vergangenheit ja bereits der Investition der Vergangenheit entsprach. Einzelwirtschaftlich lässt sich Geld ansparen, um es zu einem späteren Zeitpunkt auszugeben. Gesamtwirtschaftlich ist diese Sichtweise aber irreführend, weil die gesamtwirtschaftliche Ersparnis gar keine Geldvermögensbildung ist.
MERKE
Eine Bilanz ist stets ausgeglichen. Auf der Aktivseite werden die Vermögenswerte (Forderungen) erfasst, während auf der Passivseite die Verbindlichkeiten verbucht werden. Die Differenz ergibt bei Privatpersonen das Nettovermögen und bei Unternehmen das Eigenkapital.
Die Aktiv- und Passivseite können auch als Verwendung und Herkunft der Positionen betrachtet werden.
Ein Aktivtausch betrifft ausschließlich Positionen auf der Aktivseite, während ein Passivtausch nur die Passivseite berührt.
Eine Bilanzverlängerung oder -verkürzung beeinflusst sowohl die Aktiv- als auch die Passivseite gleichermaßen, wodurch sich die Bilanzsumme erhöht oder verringert.
Vermögenswerte lassen sich in Rein- (bzw. Netto-), Geld- und Sachvermögen unterteilen.
Das Reinvermögen setzt sich aus der Summe von Geld- und Sachvermögen zusammen.
In einer geschlossenen Volkswirtschaft erfolgt die Vermögensbildung immer in Form von Sachvermögensbildung, da die Geldvermögensbildung im Aggregat nicht möglich ist.
Literatur
GODLEY, W. UND M. LAVOIE (2007). Monetary Economics – An Integrated Approach to Credit, Money, Income, Production and Wealth, Palgrave MacMillan.↵
GRASS, R. UND W. STÜTZEL (1983). Volkswirtschaftslehre: eine Einführung auch für Fachfremde, Vahlen.↵
LINDNER, F. (2012). “Saving does not finance Investment: Accounting as an indispensableguide to economic theory,” IMK Working Paper 100-2012, IMK at the Hans Boeckler Foundation, Macroeconomic Policy Institute.↵
PAETZ. M. (2025). “Geldtheorie und Geldpolitik,” Schäffer-Poeschel.↵
SCHMIDT, J. (2011). Die Bedeutung der Saldenmechanik für die makroökonomische Theoriebildung, Marburg : Metropolis-Verl., 111–147.↵
SCHMIDT, J. (2012). Die Bedeutung der Saldenmechanik für die makroökonomische Theoriebildung, Marburg : Metropolis-Verl., 111–147.↵
STÜTZEL, W. (1978). Volkswirtschaftliche Saldenmechanik: ein Beitrag zur Geldtheorie, Tübingen: Mohr.↵
STÜTZEL, W. (1979). Sparen – Fluch oder Segen? Anmerkungen zu einem alten Problem aus Sicht der Saldenmechanik, Marburg : Metropolis-Verl., 61–85.↵
Für die meisten Menschen besteht Geld aus Münzen, Scheinen und dem, was sich auf ihren Bankkonten befindet. Geldvermögenswerte wie Aktien oder Fondsanteile können relativ zügig in Geld umgewandelt werden und sind daher dem, was wir als Geld bezeichnen, sehr ähnlich. Um einen Überblick über ein modernes Geldsystem zu erlangen, werden wir im Folgenden verschiedene Geldvermögensarten anhand ihrer Liquiditätsnähe hierarchisch ordnen. Hierbei unterscheiden wir zwischen dem privaten Bankengeld und dem staatlichen Zentralbankgeld.
Das zweistufige Geldsystem
Der überwiegende Teil dessen, was wir heute als Geld bezeichnen, wird vom privaten Bankensektor geschaffen. Dessen Aufgaben bestehen darin, Nichtbanken mit Zahlungsmitteln zu versorgen und ein bargeldloses Zahlungssystem zur Verfügung zu stellen. Um zu verstehen, was alles als Geld bezeichnet werden kann, werden wir zunächst die Primärfunktionen von Geld benennen.
Primärfunktionen von Geld
Wir bezeichnen etwas im Wesentlichen aufgrund der folgenden drei Funktionen als Geld:
(i) Es ist Zahlungsmittel, d.h. man kann jede Rechnung mit Geld bezahlen. Jedes private oder staatliche Schuldverhältnis innerhalb eines Währungsraumes kann mit Geld aufgelöst werden. Auf den US-Dollar Noten wird dies sogar explizit aufgeführt: „This note is legal tender for all debts, public and private.“14
(ii) Es ist Recheneinheit, da man alle Güter in Geldeinheiten bewertet und ihre Preise so miteinander vergleichen kann. Der Wert von Gütern wird in Geldeinheiten gemessen, so wie das Gewicht in Kilogramm oder die Entfernung in Metern.
(iii) Es ist Wertaufbewahrungsmittel, weil man es vorrätig halten kann, um seine Zahlungsfähigkeit zu erhalten.
Die ersten beiden Funktionen haben wir bereits im vorangegangenen Modul kennengelernt. Die Metallisten stellen die Zahlungsmittelfunktion in den Vordergrund und gehen davon aus, dass sich die anderen beiden Funktionen aus ihr ableiten. Die Chartalisten sehen Geld hingegen im Wesentlichen als von der Regierung festgelegte Recheneinheit, die daraufhin auch als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel verwendet wird.
Es besteht kein Zweifel, dass Sichtguthaben bei Geschäftsbanken die obigen drei Funktionen erfüllen, auch wenn Bargeld in den meisten Ländern das einzige gesetzliche Zahlungsmittel ist. Da man die Sichtguthaben bei Banken jederzeit Eins-zu-Eins gegen dieses Zahlungsmittel tauschen kann, werden die digitalen Einträge bei Banken wie das gesetzliche Zahlungsmittel behandelt. Es können aber auch andere Forderungen Geldfunktionen übernehmen. Guthaben bei digitalen Bezahldiensten wie PayPal werden bspw. vermehrt für Zahlungen verwendet, obwohl sie weder Einlagen noch Bargeld darstellen. Gleiches gilt für Kreditkartenzahlungen, bei denen ein Verkäufer eine kurzfristige Forderung gegen ein Kreditkartenunternehmen als Zahlungsmittel akzeptiert.
Wertbeständigkeit und Inflationsrate
Wie sich leicht erkennen lässt, beeinflussen sich die einzelnen Funktionen des Geldes gegenseitig. Es wäre als Zahlungsmittel sicher nicht akzeptiert, wenn es keine Wertbeständigkeit hätte. Würde man nicht einschätzen können, welche Kaufkraft ein Euro in der Zukunft besitzt, würde man ihn wohl kaum im Tausch gegen Güter akzeptieren. Als Recheneinheit würde Geld nicht funktionieren, wenn es keine Zahlungsmittelfunktion hätte. Lassen sich Waren und Dienstleistungen nicht mit Hilfe von Geld erwerben, ist es offensichtlich auch unmöglich, diese in Geldeinheiten zu bewerten und zu vergleichen.
Die Funktion der Wertaufbewahrung wird von der Inflationsrate, also der Preissteigerungsrate, beeinflusst, da höhere Preise dazu führen, dass man mit der gleichen Geldmenge weniger Güter erwerben kann. Daher ist eine niedrige Inflationsrate ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik, um die Akzeptanz von Geld als Wertaufbewahrungsmittel sicher zu stellen. In Zeiten sehr hoher Inflationsraten übernehmen ggf. andere Objekte wie Gold oder Zigaretten die Zahlungsmittelfunktion oder gar ausländische Währungen, die nicht so stark von der inländischen Inflationsrate entwertet werden.
Sachanlagen wie Häuser können zudem als Wertaufbewahrungsmittel verwendet werden. Aber auch diese Vermögenswerte besitzen keinen konstanten Wert, da ihre Preise Schwankungen unterliegen. Während der großen Immobilienblase im Vorfeld der globalen Finanzkrise sind die Immobilienpreise stark angestiegen und haben so das Vermögen vieler Haushalte zunächst erhöht. Der plötzliche Zusammenbruch der Immobilienpreise nach Ausbruch der Finanzkrise hat dieses Vermögen aber wieder „vernichtet“.15 Dies hatte schwerwiegende Folgen, da sich viele Hauseigentümer Hypothekenkredite aufgenommen hatten, bei denen die Immobilie als Sicherheit hinterlegt wurde.
Buchgeld von Banken
Den größten Teil unserer Zahlungsmittel halten wir inzwischen in Form digitaler Einträge auf Geschäftsbankkonten, die man als Sichtguthaben, Buchgeld, Bankengeld, Giralgeld oder auch Einlagen bezeichnet. Letzterer Ausdruck stammt aus der Zeit, in der Goldschmiede eine Frühform des Bankengeschäfts betrieben. Um eine Gutschrift auf einem Konto zu erhalten, musste man zunächst Gold einzahlen, also eine Einlage tätigen. Die Goldschmiede gaben daraufhin Quittungen heraus, die man als Zahlungsmittel verwendete. Eine Quittung stellte eine Forderung gegen den Goldschmied dar, weil man sie jederzeit bei ihm gegen die Goldeinlage tauschen konnte.
Im heutigen Geldsystem stiftet der Ausdruck Einlage hingegen Verwirrung, weil die Einträge auf den Konten von Banken im Wesentlichen durch die Vergabe von Krediten entstehen (und nicht durch die Einlage von Gold). Bei der Kreditvergabe einer Bank an einen Kunden werden für beide beteiligten Akteure Forderungen und Verbindlichkeiten geschaffen:
„Für Banken stellen die so geschaffenen Kunden-Guthaben Verbindlichkeiten dar, denen Forderungen auf spätere Rückzahlungen des Kredits gegenüberstehen. Für Kreditnehmer ist es genau umgekehrt: Der Kredit ist eine Verbindlichkeit und die Einlagen sind jederzeit fällige Forderungen gegenüber der Bank. Kunden können jederzeit Auszahlungen oder Überweisungen ihrer Guthaben verlangen. Rechtlich gesehen stellt das Giralgeld der Banken einen Anspruch auf Bargeld dar, das gesetzliche Zahlungsmittel, welches nur von der Zentralbank geschaffen werden darf. Bei einer Überweisung auf ein anderes Bankkonto wird dieser Anspruch auf jemand anderen übertragen. Nichtbanken führen den Großteil ihres Zahlungsverkehrs durch, indem sie ihre Forderungen gegenüber dem Bankensektor weiterreichen. Banken verleihen ihre eigenen digitalen Schuldscheine und akzeptieren diese zur Rückzahlung ihrer Kredite. Sie verleihen, anders als häufig angenommen, keine vorhandenen Kundengelder und auch kein Zentralbankgeld.“
Zusätzlich zum Geld der Geschäftsbanken gibt es noch das Geld der Zentralbanken. Zentralbanken können greifbare Schuldscheine in Form von Bargeld schaffen (Münzen und Scheine) oder digitale Schuldscheine in Form sogenannter Reserven. Letztere stellen Guthaben der Banken bei ihrer Zentralbank dar, die gegen Bargeld getauscht werden können. Im täglichen Überweisungsverkehr müssen Banken Zahlungen untereinander mit Reserven verrechnen.
Banken bestreiten ihren Zahlungsverkehr mit Guthaben bei der Zentralbank, so wie wir es mit unseren Guthaben bei Banken tun. Hierfür besitzen alle Banken ein Konto bei ihrer Zentralbank. Die Bankleitzahl entspricht der Kontonummer ihres Reservekontos. Aber auch Regierungen besitzen ein Konto bei der Zentralbank, das dort im Namen des Finanzministeriums geführt wird. Die Guthaben der Regierung werden von Zentralbanken häufig als Einlagen der Regierung bezeichnet, sind funktionell gesehen aber nicht von den Guthaben der Banken bei ihrer Zentralbank zu unterscheiden und werden im Folgenden daher auch als Reserven bezeichnet.
Alle anderen Teilnehmer des Geldsystems können keine Zentralbankreserven besitzen, weil sie kein Konto bei der Zentralbank haben. Bargeld stellt die einzige Form von Zentralbankgeld dar, die auch im Privatsektor verwendet wird. Die zwei Geldkreisläufe sind in Abbildung 2 illustriert. Banken haben in diesem System offensichtlich eine Sonderfunktion, da sie die Schnittstelle zwischen beiden Geldkreisläufen darstellen und sowohl Reserven als auch Giralgeld auf unterschiedlichen Seiten in ihren Bilanzen führen: Reserven als Forderungen gegenüber der Zentralbank und Einlagen als Verbindlichkeiten gegenüber ihren Kunden.
Abbildung 2: Geldkreisläufe
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Paetz (2025, Abb. 1.1).
Liquidität und Geldhierarchie
Finanzmärkte stellen eine Vielzahl von Alternativen zur Vermögenshaltung in Form von Bargeld oder Einlagen zur Verfügung. Banken bieten z.B. fest verzinste Spareinlagen an, die ein Kunde für einen gewissen Zeitraum nicht mehr abheben kann. Ebenso kann man sein Vermögen in Form von Aktien halten oder durch den Kauf von Derivaten auf bestimmte Kursentwicklungen spekulieren. Ein für den Finanzsektor besonders wichtiges handelbares Wertpapier ist die Anleihe. Anleihen sind handelbare Schuldverschreibungen des Emittenten (Herausgebers) der Anleihe. Ein Unternehmen kann z.B. eine Schuldverschreibung für 1000 Euro verkaufen und dem Käufer versprechen, über die Laufzeit der Anleihe jedes Jahr einen Zins (auch Kupon genannt) von 5% zu zahlen. Am Ende der Laufzeit erhält der Käufer dann seine 1000 Euro zurück.
Liquidität
Anleihen stellen Schuldscheine des Herausgebers dar, die Guthaben bei digitalen Bezahldiensten Verbindlichkeiten dieser Dienste und Anteile an einem Fonds Verbindlichkeiten eines Fonds. Jede dieser Verbindlichkeiten stellt logischerweise einen Vermögenswert für die Person dar, welche den Schuldschein hält. Es können also nicht nur Banken Verbindlichkeiten schaffen. Theoretisch kann jeder seine eigenen Schuldscheine emittieren. „Jeder kann Geld schaffen; das Problem ist, es akzeptiert zu bekommen.“(Minsky (1986, S.228))
Die Schuldscheine des Finanzsystems werden zwar alle in der gleichen Recheneinheit notiert, haben deswegen aber nicht die gleiche Wertigkeit. Der Schuldschein, den ich ausstelle, indem ich auf ein Stück Papier einen Nennwert notiere und darunter unterschreibe, wird von niemandem als Zahlungsmittel akzeptiert werden, weil niemand diesen Schuldschein haben möchte. Die Bereitschaft, einen Schuldschein als Vermögenswert zu halten, wird im Wesentlichen von zwei Faktoren beeinflusst: Dem versprochenen Zinssatz und der Liquidität.
Ein Vermögenswert gilt als umso liquider, je einfacher und sicherer man ihn zum Nennwert handeln kann. Eine Immobilie lässt sich nicht von heute auf morgen verkaufen. Daher wird ein jederzeit handelbares Wertpapier liquider angesehen als eine Immobilie. Außerdem kann man sich weder bei dem Wertpapier noch der Immobilie sicher sein, zu welchem Preis man den entsprechenden Vermögenswert in Zukunft verkaufen kann. Sollte man kurzfristig Zahlungsmittel benötigen, muss man Vermögenswerte evtl. zu einem niedrigeren Preis verkaufen. Man bezeichnet einen Vermögenswert daher als vollkommen liquide, wenn er jederzeit zum Nennwert gehandelt wird.
Liquidität und Zinsen
Zentralbankgeld hat dementsprechend die höchste Liquidität, weil es jederzeit zum Nennwert gehandelt wird. 100 Euro Bargeld oder Reserven entsprechen jederzeit dem nominalen Wert von 100 Euro. Aber auch das von Banken geschaffene Geld gilt als vollkommen liquide, weil es eine Forderung darstellt, die jederzeit zum Nennwert in Bargeld getauscht werden kann. Hohe Beträge müssen allerdings angekündigt werden, weil Banken i.d.R. nur begrenzte Bargeldreserven halten. Zudem kann im Falle einer Finanzkrise ein Bank-Run dazu führen, dass eine Bank die Herausgabe von Bargeld vollständig einstellt. Dennoch bezeichnet man auch Sichteinlagen als liquide Mittel, da sich die meisten Zahlungen heutzutage problemlos durch Überweisung von Bankguthaben tätigen lassen.
Andere Vermögenswerte weisen eine geringere Liquidität auf, weil ihre Preise schwanken. Eine Anleihe, die dem Besitzer zum Ende ihrer Laufzeit verspricht, den Nennwert von 1000 Euro auszuzahlen, kann zwar verkauft werden bevor sie fällig wird, jedoch ist nicht sicher, welchen Preis die Anleihe zum Verkaufszeitpunkt am Finanzmarkt erzielen wird. Um die Liquidität eines Vermögenswertes zu bewerten, kommt es entscheidend darauf an, ob ein Markt existiert, auf dem man ihn kurzfristig verkaufen kann, und wie sicher man sich sein kann, einen guten Preis zu erzielen. Sachvermögenswerte wie Immobilien haben eine geringe Liquidität, weil man zunächst einen Käufer für sie finden muss. Der Immobilienmarkt ist so gesehen kein besonders liquider Markt. Kurzfristige handelbare Schuldverschreibungen gelten hingegen als sehr liquide, weil sie bei Fälligkeit zum Nennwert getauscht werden und man sie auf den Finanzmärkten jederzeit verkaufen kann. Zudem werden sie aufgrund ihrer kurzen Laufzeit in der Regel nahe am Nennwert gehandelt.
Liquide Vermögenswerte bieten Sicherheit. Sollte eine erwartete Einzahlung ausfallen, weil ein Kunde z.B. eine Rechnung nicht bezahlt, könnten Probleme entstehen, bestehenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Liquide Vermögenswerte können dann verkauft werden, um die notwendigen Zahlungsmittel zu erlangen und eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Der Zins, den ein Schuldner bei Herausgabe eines Schuldscheins bietet, kann daher als Preis für die Aufgabe von Liquidität angesehen werden, wie bereits Keynes (1936) bemerkte. Wer ein illiquides Wertpapier emittiert, muss seinen Gläubigern einen entsprechenden Zins bieten, damit dieser bereit ist, seine liquiden Mittel herzugeben.16
Geldhierarchie
Mit Hilfe des Konzepts der Liquidität lassen sich die Schuldscheine bzw. Vermögenswerte des Finanzsystems hierarchisch anordnen. Die sogenannte Pyramide der Verbindlichkeiten ist in Abbildung 3 dargestellt. Die liquidesten Vermögenswerte stehen an oberster Stelle. Da Zentralbankgeld (Bargeld und Reserven) immer zu seinem Nennwert getauscht wird, steht es an der Spitze der Pyramide. Das Bankengeld steht direkt darunter, weil es im Normalfall ebenfalls zum Nennwert gegen Bargeld getauscht werden kann. In Krisen kann es jedoch passieren, dass ein solcher Tausch nicht mehr möglich ist. Bei einem Bank Run befürchten die Kunden, dass ihre Bank finanzielle Probleme hat und wollen deswegen die unsicheren digitalen Schuldscheine der Bank lieber gegen die sicheren Schuldscheine der Zentralbank tauschen. Sie wollen die liquidere Geldform.
Abbildung 3: Geldpyramide (Pyramide der Verbindlichkeiten)
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Paetz (2025, Abb. 1.2).
Da Reserven und Bargeld nur von der Zentralbank (und nicht vom Privatsektor) geschaffen werden, wird es gelegentlich auch als „Outside Money“ oder „Außengeld“ bezeichnet. Das Buchgeld der Banken wird hingegen „Inside Money“ oder „Binnengeld“ genannt. Unter den Schuldscheinen der Geschäftsbanken sind die Schuldscheine privater Nichtbanken angesiedelt. Dies können handelbare Schuldverschreibungen von nicht-finanziellen Unternehmen sein, wie die oben beschriebenen Anleihen, aber auch Aktien oder Fondsanteile. Die verschiedenen Geldformen lassen sich nach Belieben weiter untergliedern. Ganz unten in der Pyramide befinden sich nicht-handelbare Schuldscheine, wie z.B. offene Rechnungen.
Währung, Geld und Kredit
Der Übergang von Geld zu Kredit in der Hierarchie der Verbindlichkeiten ist fließend. Bereits Schumpeter (1954, S. 717) bemerkte: „(…) praktisch wie analytisch ist eine Kredittheorie des Geldes möglicherweise einer monetären Theorie des Kredits vorzuziehen.“ Statt Kredit vom Geldbegriff abzuleiten, sollte man vielmehr den Geldbegriff aus dem Kredit ableiten. Je weiter man in der Pyramide nach oben blickt, desto eher sollte man von Geld sprechen. Je weiter man hinunter schreitet, desto eher handelt es sich um eine Form von Kredit. Geld lässt sich daher auch als die höchste bzw. liquideste Form des Kredits interpretieren.
Da das Zentralbankgeld an der Spitze der Geldhierarchie steht und immer zum Nennwert in der staatlich festgelegten Recheneinheit gehandelt wird, bezeichnet man es auch als Währung. Da jedes Land mit eigener Zentralbank eine eigene Währung herausgibt, gibt es in jedem dieser Länder eine Geldhierarchie mit einer anderen Währung an der Spitze. Als Gold noch das einzige international anerkannte Zahlungsmittel war, bestand eine Verbindung zwischen den Geldpyramiden verschiedener Währungsräume vor allem über die Bindung der eigenen Währung an Gold. Heute können die Bürger eines Landes i.d.R. auch Vermögenswerte im Ausland halten, so dass die Pyramiden verschiedener Länder noch enger miteinander verbunden sind. Zudem gibt es eine globale Geldhierarchie, da der Großteil internationaler Zahlungen in wenigen Währungen (vor allem Dollar, Euro oder Yen) abgerechnet wird (siehe Murau, Pape und Pforr (2023)). Wir werden in diesem Kurs im Wesentlichen eine geschlossene Volkswirtschaft analysieren, um die Zusammenhänge der verschiedenen Ebenen der Geldpyramide zu verstehen.
Eigenschaften eines hierarchischen Geldsystems
Jeder Vermögenswert in der Pyramide ist ein Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt eine höherwertige Geldform zu zahlen. Die unteren Ebenen der Pyramide sind zudem ein Vielfaches der höherwertigen Geldformen, weil Unternehmensanleihen z.B. von Investmentfonds gekauft werden, die wiederum Anteile emittieren, die von ihren Kunden gekauft werden. Zudem ist die Geldpyramide nicht statisch zu verstehen: Die Kreditvergabe weitet sich in Aufschwungphasen in der Regel aus und schrumpft in Krisen wieder. Weitet sie sich aus, so erhöht sich zumeist die Substituierbarkeit der unterschiedlichen Geldformen. Firmen kaufen dann z.B. Aktienanteile mit Hilfe von Anleihen oder anderen kurzfristigen Schuldverschreibungen wie Geldmarktanteile. Verengt sich die Pyramide wieder, so sinkt i.d.R. auch die Substituierbarkeit.
Beispielsweise kann ein Einbruch der wirtschaftlichen Entwicklung dazu führen, dass die Einzahlungen für viele Unternehmen geringer ausfallen als die eingegangenen Zahlungsverpflichtungen. Kreditgeber könnten in einer Krise zudem nicht mehr bereit sein, Zahlungsaufschübe zu akzeptieren und auslaufende Kredite zu erneuern. Es entsteht eine Situation, in der alle gleichzeitig liquidere Mittel wollen. Ausweitungen und Verengungen der Geldpyramide lassen sich sowohl in kurz- oder langfristigen Konjunkturzyklen regelmäßig erkennen, wie auch im Laufe eines Tages, wenn Banken ihre Innertageskredite bei der Zentralbank zurückzahlen müssen.
Geldmengenaggregate
Da relativ liquide Verbindlichkeiten von Nichtbanken auch als eine Form von Geld angesehen werden können, definieren auch Zentralbanken verschiedene Geldmengen. Je nachdem, welches ökonomische Problem man analysieren möchte, kann es angemessen sein, einen Teil der weniger liquiden Vermögenswerte zur Geldmenge hinzuzuzählen. In den größer gefassten Geldmengenaggregaten der Zentralbanken werden daher auch längerfristige Termineinlagen, kurzfristige Bankschuldverschreibungen, Geldmarktfonds oder sogenannte Repo-Geschäfte als Geld gezählt (Repos sind mit Wertpapieren besicherte Kredite). Auch die deutsche Bundesbank (2019, S. 73 f.) weist auf die Schwierigkeiten der Geldmengendefinition hin:17
„Da die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Einlagearten und kurzfristigen Finanzinstrumenten fließend sind, lässt sich die Geldmenge nicht eindeutig definieren. Letztlich hängt es beispielsweise von der Fragestellung einer Untersuchung ab, welche Einlagearten man zum Geld rechnet und welche nicht bzw. welche Geldmenge man in der Untersuchung verwendet. Vor diesem Hintergrund haben andere Länder ihre Geldmengen nach anderen Kriterien definiert, beispielsweise die Schweiz und die USA.“
Jede Zentralbank definiert ihre Geldmengenaggregate etwas anders, aber in den meisten Fällen ähnlich. Es gilt grundsätzlich das Prinzip: Je höher die Nummer des Aggregats, desto breiter gefasst ist die Geldmenge, also desto längerfristigere Geldanlagen werden berücksichtigt.18 Die Bundesbank verwendet 4 unterschiedliche Gelddefinitionen (M0, M1, M2 und M3), die sich in ihrer Liquidität unterscheiden. Die Zentralbankgeldmenge M0 wird auch als Geldbasis bezeichnet. Tabelle 2 fasst die verschiedenen Geldmengenaggregate nach Definition der Bundesbank zusammen. Hierbei ist zu beachten, dass M1 zwar eine Teilmenge von M2 und M2 eine Teilmenge von M3 ist, M0 jedoch keine Teilmenge der anderen Aggregate darstellt, da diese keine Reserven enthalten.
Tabelle 2: Geldmengenaggregate der Bundesbank
M0
Geldbasis (Bargeldumlauf und Zentralbankguthaben von Banken)
M1
Bargeldumlauf + Sichteinlagen in Banken
M2
M1 + Spareinlagen mit einer Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten und Termineinlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren
M3
M2 + weitere kurzfristige Geldanlagen (kurzfristige Bankschuldverschreibungen (mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu zwei Jahren), von Geldmarktfonds ausgegebene Geldmarktfondsanteile sowie die sogenannten Repogeschäfte)
MERKE
Geld erfüllt drei primäre Funktionen: Es fungiert als Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel.
Moderne Geldsysteme sind zweistufig aufgebaut und setzen sich aus staatlichem Zentralbankgeld und privatem Bankengeld zusammen.
Bankguthaben sind Schuldscheine des Bankensektors, die einen Anspruch auf Bargeld darstellen und bei Zahlungen übertragen werden.
Entgegen der weit verbreiteten Auffassung verleihen Banken keine Ersparnisse ihrer Kunden, sondern schaffen bei jeder Kreditvergabe an Nichtbanken neue Einlagen.
Es existieren zwei Geldkreisläufe: einer zwischen der Zentralbank (bzw. der Regierung) und den Geschäftsbanken, und ein weiterer zwischen den Geschäftsbanken und privaten Nichtbanken.
Der Grad der Liquidität eines Vermögenswerts beschreibt, wie sicher dieser zum Nennwert verkauft werden kann. Ein Vermögenswert gilt als vollkommen liquide, wenn er stets zum Nennwert gehandelt wird (z.B. Bargeld).
Da Wertpapiere möglicherweise unter- oder über dem Nennwert gehandelt werden, sind sie weniger liquide als Bargeld oder Einlagen. Um Anleger davon zu überzeugen, ihre Zahlungsmittel gegen Wertpapiere zu tauschen, erhalten sie daher einen risikoabhängigen Zins, der den Preis für die Aufgabe von Liquidität repräsentiert.
Vermögenswerte können hierarchisch nach ihrem Grad der Liquidität geordnet werden.
Literatur
BARNETT, W. A. UND P. A. SPINDT (1979). “The velocity behavior and information content of Divisia monetary aggregates,” Economics Letters, 4, 51–57.↵
KEYNES, J. M. (1936). “General Theory of Employment, Interest, and Money,” London: Macmillan Cambridge University Press.↵
MINSKY, H. (1986). “Stabilizing An Unstable Economy,” New Haven: Yale University Press.↵
MURAU, S., PAPA, F. UND T. PFORR (2023). “International Monetary Hierarchy through Emergency US-Dollar Liquidity: A Key Currency Approach,” Competition & Change, 27, S. 495–515.↵
PAETZ. M. (2025). “Geldtheorie und Geldpolitik,” Schäffer-Poeschel.↵
SCHUMPETER, J. (1954). “History of Economic Analysis,” Routledge.↵
Das Projekt „Was-ist-Geld.de“ wurde von mir, Dr. Michael Paetz, Dozent am Fachbereich Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg, in Zusammenarbeit mit der Hamburg Open Online University (HOOU) ins Leben gerufen. Mein Ziel ist es, die finanziellen Zusammenhänge eines kreditbasierten Geldsystems einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Denn nur durch ein fundiertes Verständnis des Konzepts „Geld“ ist es möglich, die Probleme und Chancen dieses Systems zu erkennen und zu bewerten.
In erster Linie geht es mir darum, die grundlegenden Merkmale des heutigen Geldsystems zu beschreiben, insbesondere den doppelten Charakter von Geld als Vermögenswert und Verbindlichkeit. Am Ende dieses Kurses werde ich jedoch auch kritisch auf theoretische Ansätze der Geldpolitik eingehen. Sollten Sie Interesse haben, tiefer in die Materie einzutauchen, empfehle ich Ihnen mein Lehrbuch „Geldtheorie und Geldpolitik“ (Link zur Verlagsseite). Außerdem finden Sie auf meinem YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/@was-ist-geld) die Aufzeichnungen zur Vorlesung „Geldtheorie und -politik“, die ich im Jahr 2022 an der Universität Hamburg gehalten habe.
Über mich
Ich bin promovierter Volkswirt und als Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg tätig. Nach dem Studium der Wirtschaftsmathematik habe ich über die neoklassisch inspirierten Modelle des Neukeynesianismus promoviert, interessiere mich seitdem aber primär für postkeynesianische Ansätze. Daher bin ich mit orthodoxen wie heterodoxen Theorien gleichermaßen vertraut. Im Juli 2024 erhielt ich den Hamburger Lehrpreis für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (u.a. für meine Vorlesung zur Geldtheorie und -politik). Neben der Lehre publiziere ich in akademischen wie populärwissenschaftlichen Zeitschriften und schreibe gelegentlich für den postkeynesianischen Blog „Makroskop“.
UHH, RRZ/MCC, Mentz
Aufbau
Ich habe mich bemüht diese Seite so zu gestalten, dass sie auch Laien einen leicht zugänglichen Einstieg in das Thema bietet. Hierzu stehen Ihnen fünf „Module“ zur Verfügung, die aufeinander aufgebaut sind. Bevor wir starten, möchte ich zunächst den Aufbau dieses „Erklär-Blogs“ erläutern.
Das erste Modul, „Einführung“, beschäftigt sich mit dem Ursprung des Geldes sowie den beiden in der Wissenschaft konkurrierenden geldtheoretischen Konzepte: dem Metallismus und dem Chartalismus. Im Metallismus wird Geld als ein „Ding“ betrachtet, wie etwa eine Goldmünze. Auch heute glauben viele Menschen fälschlicherweise, dass Geld an einen Sachwert gebunden ist, obwohl die Goldbindung bereits vor langer Zeit aufgegeben wurde. Chartalisten hingegen sehen Geld als ein rechtliches Konstrukt ohne intrinsischen Wert, das zur Verrechnung gegenseitiger Leistungen dient.
Das zweite Modul, „Grundlagen des Geld- und Kreditsystems„, führt in die fundamentalen Konzepte dieses Themenbereichs ein. Wir unterscheiden zum ersten Mal zwischen Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld und lernen zentrale Konzepte wie die Geldschöpfung durch Buchungssätze kennen. Darüber hinaus analysieren wir die Bedeutung von Liquidität im Kontext der Hierarchie der verschiedenen Geldformen. Dabei werden wir feststellen, dass es keine universelle Gelddefinition gibt, sondern dass verschiedene Definitionen je nach Fragestellung Vor- und Nachteile mit sich bringen.
Das dritte Modul, „Grundlagen der Vermögensrechnung“, beleuchtet verschiedene Formen der Vermögensbildung. Um Missverständnisse zu vermeiden, definieren wir die unterschiedlichen Arten der Vermögensbildung präzise, da dies für das Verständnis monetärer Beziehungen entscheidend ist. Dazu gehört auch das Verstehen von Buchhaltungsgrundlagen, denn die Prinzipien der doppelten Buchführung bilden letztlich die Basis des Geldsystems. Um die Erklärungen anschaulich und lebendig zu gestalten, werden diese Buchhaltungsgrundlagen anhand intuitiver Beispiele vermittelt.
Im vierten Modul dieses Blogs erklären wir anhand der gesamtwirtschaftlichen Buchhaltung, warum die Bildung von Geldvermögen in einem Sektor einer Volkswirtschaft nur möglich ist, wenn sich alle anderen Sektoren in gleicher Höhe verschulden. Aus dieser fundamentalen Tatsache leiten wir die Zusammenhänge der sektoralen „Finanzierungssalden“ einer Volkswirtschaft ab, die den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf unseres Geldsystems anschaulich darstellen.
Im abschließenden Abschnitt („Geldpolitik“) setzen wir uns kritisch mit verschiedenen theoretischen Ansätzen der Geldpolitik auseinander. Dieser Abschnitt dient als Einführung in die Materie und ist keine umfassende Abhandlung aller geldpolitischen Instrumente und ihrer Möglichkeiten sowie Grenzen. Vielmehr werden die wesentlichen Funktionen und Begriffe moderner Geldpolitik skizziert, um die größten Denkfehler und Mythen in diesem Bereich zu klären und Ihnen verschiedene Positionen verständlich zu machen.
Schließlich finden Sie unter „Links“ Verweise zu weiteren interessanten und vertiefenden Blogs zum Thema Geld und Wirtschaft.
Danksagung
Ich möchte mich bei der HOOU und den studentischen Hilfskräften, Hendrik Hinnrichs, Diego Diez, Christian Gerl und Johannes Heinen bedanken, die mich in der Umsetzung dieses Projektes unterstützt haben. Des Weiteren danke ich meinem guten Freund Johannes Semm für seine bezaubernde Stimme im obigen Trailervideo. Wie üblich sind alle Fehler, die auch nach mehrmaligem Gegenlesen nicht beseitigt wurden, ausschließlich mir anzulasten.
Dr. Michael Paetz, im März 2025.
INHALT
Grundlegende Funktionsweise eines auf Kredit basierten Geldsystems
Der Autor hat das Urheberrecht auf die Inhalte dieser Seite unter der angegebenen Lizenz. Inhalte und Grafiken, die nicht vom Autor stammen, sind entsprechend gekennzeichnet. Bei Fragen und/oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte über diese Email direkt an den Autor: michael.paetz@uni-hamburg.de.
Cookie-Zustimmung verwalten
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.