Grundlagen moderner Geldpolitik II

Nachdem wir die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Geschäfts- und Zentralbanken verstanden haben, wird es in diesem zweiten Abschnitt zur Geldpolitik zunächst um die Instrumente einer Zentralbank gehen, die sie verwendet, um den angepeilten Zinssatz im Interbankenmarkt auch durchzusetzen. Da sich dieser Zinssatz auch auf den Zins auswirkt, den die Banken für Kredite an den Privatsektor verlangen, beeinflusst die Zentralbank so den Preis für Kredite. Sie tut dies um die Inflationsrate zu stabilisieren. Steigt diese in einem Aufschwung zu stark an, soll eine Zinserhöhung die Kreditaufnahme verteuern und somit die Investitionen  reduzieren. Dies soll die Wirtschaft abkühlen und so den Preisanstieg dämpfen. Fällt die Inflation hingegen unter das gewünschte Zielniveau, soll eine Zinssenkung die Investitionen anregen, um so die Wirtschaft aus der Krise zu führen.

Moderne Zentralbanken ähneln sich in der praktischen Ausgestaltung ihrer Geldpolitik.  Im Folgenden werden daher exemplarisch die geldpolitischen Instrumente der Europäischen Zentralbank (EZB) skizziert, welche ein Inflationsziel von knapp unter, aber nahe bei 2 % verfolgt. Andere Zentralbanken besitzen aber ähnliche Instrumente, weshalb die Analyse durchaus übertragen werden kann.1 Viele der hier verwendeten Beispiele sind abermals dem Lehrbuch von Dirk Ehnts (2016) entnommen.

Die wichtigsten geldpolitischen Instrumente der EZB, die ihr erlauben, Einfluss auf die Zinsen im Geschäftsbankensektor zu nehmen, sind in Tabelle 5 zusammengefasst. Die bereits erwähnte Mindestreserve sowie die sogenannte Eigenkapitalquote der Banken sind Vorgaben, die nur sehr selten verändert werden und daher nicht zum Alltagsgeschäft der Zentralbanken gehören. Daher sind sie in der Tabelle nicht aufgeführt.

Tabelle 5: Überblick regelmäßig genutzter geldpolitischer Instrumente

\begin{tabular}{L{7cm}L{7cm}} \toprule \multicolumn{1}{c}{\textbf{OFFENMARKTGESCHÄFTE}}& \multicolumn{1}{c}{\textbf{STÄNDIGE FAZILITÄTEN}}\\ \multicolumn{1}{c}{\textbf{(Initiative geht von der Zentralbank aus)}} & \multicolumn{1}{c}{\textbf{(Initiative geht von der Bank aus)}}\\ \midrule Hauptrefinanzierungsgeschäfte &Spitzenrefinanzierungsfazilität\\ Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte&Einlagefazilität\\ Feinsteuerungsoperationen&\\ Strukturelle Operationen&\\ \bottomrule \end{tabular}

Mindestreserven gelten landläufig als wichtiges regulierendes Instrument der Zentralbanken, weil man damit die Geldschöpfung im privaten Bankensektor begrenzen könne. Dies basiert aber auf der falschen Vorstellung über den Geldschöpfungsprozess, die man aus der Theorie des Bankenmultiplikators ableitet. Dieser Theorie folgend benötigt eine Geschäftsbank zunächst einmal Reserven der Zentralbank, um hiermit zusätzliche Kredite zu schöpfen. In der Realität ist die Kausalität aber ganz anders: Banken vergeben zunächst Kredite, schaffen so Einlagen und kümmern sich erst danach um die Beschaffung der notwendigen Reserven. Dies geschieht über den Interbankenmarkt oder über die Zentralbank, die ihr jederzeit die notwendigen Reserven zur Verfügung stellt, solange Sicherheiten ausreichender Bonität vorhanden sind. Da Banken sogar die erste Tranche eines Kredites als Sicherheit hinterlegen können, stellt die Mindestreservehaltung offensichtlich kein Mittel zur Begrenzung der Geldschöpfung dar. Viele Länder haben die Mindestreserve daher bereits abgeschafft. Bevor wir die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener geldpolitischer Maßnahmen analysieren, werden die folgenden Abschnitte zunächst die unterschiedlichen Instrumente grob skizzieren.

Geldpolitische Instrumente I: Offenmarktpolitik

Die sogenannten Offenmarktgeschäfte stellen die wichtigsten Instrumente aus Sicht der Zentralbank dar, die Banken mit Reserven zu versorgen. Bei den Offenmarktgeschäften geht die Initiative der Maßnahme von der Zentralbank aus, die so die Geschäftsbanken entweder mit Zentralbankgeld versorgt oder ihnen Zentralbankgeld entziehen möchte:

  • Hauptrefinanzierungsgeschäfte (HRG; englisch: Main Refinancing Operation, MRO): wöchentliches Offenmarktgeschäft mit einwöchiger Laufzeit. Banken leihen sich Zentralbankgeld gegen Hinterlegung von Sicherheiten zum Hauptrefinanzierungszinssatz, auch Leitzins, (englisch main refinancing rate) der EZB. Gilt als wichtigstes Instrument (daher auch Haupttender genannt).
  • Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (LRG; englisch: longer-term refinancing operation, LTRO), auch längerfristige Offenmarktgeschäfte: Die so genannten Basistender werden einmal monatlich mit dreimonatiger Laufzeit durchgeführt. LTROs können aber auch unregelmäßig angewendet werden, wie zum Beispiel 2011/12, als mit der sogenannten „dicken Bertha“ im großen Volumen Liquidität zum Hauptrefinanzierungszinssatz mit einer Laufzeit von mehreren Jahren geschaffen wurde. Grund dafür war eine Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, wodurch sich die Banken untereinander kein Geld mehr geliehen haben. Die lange Laufzeit der LTROs soll den Fristenunterschied zwischen den Laufzeiten von Verbindlichkeiten und Forderungen der Banken verringern. In der Regel haben Banken langfristige Forderungen (Kredite an den Privatsektor), denen sehr kurzfristige Verbindlichkeiten (z.B. in Form von Sichteinlagen) gegenüberstehen. Reserven stellen aus Sicht der Banken kurzfristige Forderungen (Guthaben) dar, die jederzeit für den Zahlungsverkehr zur Verfügung stehen.
  • Feinsteuerungsoperationen: Unregelmäßige, nicht standardisierte Operationen, die dazu dienen, kurzfristige und unerwartete Schwankungen der Bankenliquidität zu vermeiden (z.B. kurzfristige Kreditvergabe, Ankauf von Termineinlagen oder zeitlich befristeter Ankauf von Devisen (Devisenswap)).
  • Strukturelle Operationen: Unregelmäßige, nicht standardisierte Operationen, die den langfristigen Bedarf nach Zentralbankgeld sichern sollen, um die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen zu sichern. Dies kann zum Beispiel durch Verkauf von Schuldverschreibungen gegen Zentralbankgeld erreicht werden, da so die Menge an Zentralbankgeld im Bankensektor dauerhaft gesenkt wird und die Geschäftsbanken wieder mehr Bedarf haben, sich bei der Zentralbank Reserven zu leihen.

Zeitlich befristete Kredite der Zentralbank werden in der Eurozone als repurchase agreement (repo) vergeben. In diesem Fall wird das Eigentumsrecht für die Sicherheit für die Laufzeit des Kredites der Zentralbank übertragen und die Bank verpflichtet sich, sie zu einem vorher festgelegten Preis zurückzukaufen. Der Preis setzt sich aus dem Wert der Sicherheit und dem entsprechenden Zins zusammen. Bei einer strukturellen Operation können Wertpapiere auch endgültig („outright“) gekauft werden. Die wichtigsten Offenmarktgeschäfte sind eindeutig die Hauptrefinanzierungs- sowie die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte.

Offenmarktgeschäfte werden i.d.R. als Versteigerungsverfahren durchgeführt und nur selten als bilaterales Geschäft. Haupt- und Basistender sind standardisiert und werden daher auch Standardtender genannt (Abwicklung innerhalb weniger Tage). Feinsteuerungsoperationen werden dagegen Schnelltender genannt, da die Geschäftsabwicklung innerhalb von 90 Minuten erfolgt.2 Seit der Finanzkrise wendet die EZB ein Verfahren mit vollständiger Zuteilung an, um den Liquiditätsproblemen seit der Euro-Krise entgegenzuwirken. Derzeit wird in der Eurozone also auch über die Offenmarktgeschäfte jede Höhe von Reserven bereit gestellt, solange genügend Sicherheiten von ausreichender Bonität vorhanden sind.

Geldpolitische Instrumente II: Ständige Fazilitäten

Eine Fazilität (lateinisch facilitas = ‚Leichtigkeit‘) ist im engeren Sinne eine Kreditmöglichkeit. Die EZB räumt den Geschäftsbanken die Möglichkeit ein, sich bis zum nächsten Geschäftstag entweder Reserven zu leihen (Spitzenrefinanzierungsfazilität, englisch marginal lending facility) oder zu verleihen (Einlagefazilität, englisch deposit facility). Der Spitzenrefinanzierungszinssatz ist höher und der Einlagzinssatz niedriger  als der Hauptrefinanzierungszinssatz. Wie wir in Kürze sehen werden, bilden diese Zinsen einen Korridor für den Interbankenzins. Fazilitäten gehören zu den Instrumenten, bei denen die Initiative vom privaten Bankensektor ausgeht. Banken können bis zu einer halben Stunde nach Schließung des Interbankenmarktes Reserven von der Zentralbank gegen Hinterlegung von Sicherheiten bekommen oder überschüssige Reserven bei der Zentralbank parken. Überschüsse auf dem Reservenkonto werden dann zum Einlagesatz verzinst.

Wieso ist es aber überhaupt möglich, dass die Banken Reserven von der Zentralbank benötigen, wo sich empfangene und getätigte Überweisungen doch immer zu Null addieren müssen? Die im Markt befindlichen Reserven wurden zum Teil über Kredite der Zentralbank geschaffen. Laufen diese aus, brauchen Banken Reserven, um ihre Schuld bei der Zentralbank zurückzuzahlen. Sind nicht genügend Reserven im Markt, um auslaufende Kredite zu begleichen, werden einige Banken darauf bestehen, ihren Saldo in Reserven gezahlt zu bekommen und keinen Zahlungsaufschub per Kredit gewähren, da sie sich andernfalls neue Reserven bei der Zentralbank leihen müssen, um ihre alte Schuld zu begleichen. Sind nicht genügend Reserven im Markt, werden einige Banken gezwungen sein, sich einen neuen Kredit bei der Zentralbank zu nehmen, um entweder ihren Saldo im Interbankenmarkt auszugleichen oder aber ihre alten Schulden bei der Zentralbank zu begleichen.

Schauen wir uns den Vorgang des Zahlungsausgleichs im Interbankenmarkt noch einmal genauer an. Schöpft eine Bank Giralgeld über einen Kredit, so entstehen Einlagen in gleicher Höhe. Werden diese Einlagen nun abgehoben oder überwiesen, so erleidet die Bank einen entsprechenden Abfluss von Reserven. Gehen wir von 2 Banken mit folgenden Bilanzen aus (wie diese entstanden sein mögen ist für dieses Beispiel von keiner Bedeutung):

 \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{3 cm}R{0.8cm}|p{3cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 1}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 100 \end{tabular} {~~} \begin{tabular}[t]{p{3 cm}R{0.8cm}|p{3cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 2}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 100 \end{tabular} \end{tabular}

Nun tätigen Kunden von Bank 1 Überweisungen auf Konten der Kunden von Bank 2 und umgekehrt. Am Ende des Geschäftstages entsteht ein Saldo in Höhe von 50 Euro den Bank 1 an Bank 2 überweisen muss. Für den Zahlungsausgleich zwischen den beiden Banken benötigt Bank 1 nun Reserven auf ihrem Konto bei der Zentralbank, damit diese auf dem Zentralbankkonto von Bank 2 gutgeschrieben werden können. Bank 1 könnte sich hierzu über Nacht zum Spitzenrefinanzierungszinssatz Reserven bei der Zentralbank leihen. Nehmen wir an, der Spitzenrefinanzierungszinssatz beträgt 1 %. Die Bilanzen der Banken ändern sich entsprechend:

 \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 1}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 100\\ Reserven&50&Kredit (ZB, 1\%) & 50 \end{tabular} {~~} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 2}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 100 \end{tabular} \end{tabular}

Durch den Zahlungsausgleich werden die Reserven von Bank 1 um 50 € vermindert und die von Bank 2 um 50 € erhöht. Die Bilanzen sehen nach diesem Vorgang wie folgt aus:

 \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 1}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 50\\ \sout{Reserven}&\sout{50}&Kredit (ZB, 1\%) & 50 \end{tabular} {~~} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 2}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 150\\ Reserven (0,2\%)&50&& \end{tabular} \end{tabular}

Nehmen wir an, Bank 2 benötigt die zusätzlichen Reserven nicht, um Überweisungen an andere Banken zu tätigen. Die Überschussreserven werden dann lediglich mit der Einlagefazilität auf dem Reservenkonto der Zentralbank verzinst. Diese wird deutlich unter dem Spitzenrefinanzierungszinssatz liegen. Wir gehen davon aus, dass der Zins der Einlagefazilität 0,2 % beträgt.

Dadurch, dass sich die Überweisungen zwischen den beiden Beispielbanken nicht zu Null addieren, hat Bank 2 nun also einen Reserveüberschuss, der auf ihrem Reservenkonto gelagert und mit 0,2 % verzinst wird. Durch die Zinsdifferenz zwischen Spitzenrefinanzierungs- und Einlagezins entsteht eine Option, von der beide Banken profitieren könnten. Bank 1 könnte sich nämlich zu einem Zinssatz, der zwischen 0,2 % und 1 % liegt, die Reserven von Bank 2 leihen. In diesem Fall würden sich beide Banken besser stellen, da Bank 1 nun weniger als den Spitzenrefinanzierungszinssatz zahlt und Bank 2 mehr als den Einlagezins erhält. Nehmen wir an, die Banken einigen sich auf einen Zinssatz von 0,5 % (das ist der sogenannte Interbankenzins, daher mit IB gekennzeichnet). Gewähren die Banken sich einen Kredit sehen die Bilanzen wie folgt aus:

 \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 1}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 50\\ &&Kredit (IB, 0,5\%) & 50 \end{tabular} {~~} \begin{tabular}[t]{p{2.9 cm}R{0.8cm}|p{2.9cm}R{0.8cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank 2}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 & Einlagen & 150\\ Kredit (IB, 0,5\%)&50&& \end{tabular} \end{tabular}

Da sich die Salden zwischen den Banken immer zu Null addieren müssen, wäre es also theoretisch möglich, dass Banken den Zahlungsverkehr vollständig ohne zusätzlichen Reservenbedarf unter sich regeln. Tatsächlich ist der Zahlungsausgleich über gegenseitige Kreditvergabe nach Gründung der EZB anteilsmäßig angestiegen. In der Regel findet eine solche Kreditvergabe innerhalb eines gewissen Rahmens zwischen solventen Banken automatisch statt. Als Sicherheiten für die Kredite werden meistens Wertpapiere hinterlegt. Erst wenn dieser Kreditrahmen ausgeschöpft ist, wird eine längerfristige Lösung angestrebt.

Sollten die Überweisungen zwischen den Geschäftsbanken sehr asymmetrisch verteilt sein, werden die Salden, die man ausgleichen muss, sehr groß werden. Der Reservebedarf hängt daher von der Varianz der Überweisungen zwischen den Banken ab. Ist dieser im Vergleich zum Bestand im Interbankenmarkt hoch, wird die Kreditvergabe zwischen den Banken stark ansteigen müssen, wenn keine Bank zusätzliche Reserven von der Zentralbank leihen will. Da bei steigender Kreditvergabe auch das Risiko steigt, dass diese nicht zurückgezahlt werden können, und das Vertrauen gegenüber den Banken sinkt, die sich viele Reserven borgen, werden sich die Geschäftsbanken dieses Risiko über einen höheren Zinssatz bezahlen lassen. Weil Reserven knapp sind, steigt der Preis für Kredite im Interbankenmarkt.

Da Banken sich zudem jederzeit Reserven gegen Vorlage von genügenden Sicherheiten ausreichender Bonität zum Spitzenrefinanzierungszinssatz bei der Zentralbank leihen können, bildet dieser die Obergrenze für den Zinssatz im Interbankenmarkt. Keine Bank würde sich Reserven im Interbankenmarkt leihen, wenn sie diese bei der Zentralbank günstiger bekommen würde. Aus den selben Gründen bildet der Einlagezinssatz die Untergrenze für Kredite auf dem Interbankenmarkt, weil keine Bank einen Reserveüberschuss zu einem geringeren Zins verleihen würde als ihr die EZB bietet.

Die Zinssätze für Spitzenrefinanzierungs- und Einlagefazilität bilden daher einen Korridor für den Zins im Interbankenmarkt. Abbildung 13 verdeutlicht dies und zeigt die Entwicklung der drei Zinssätze sowie den Tagesgeldzinssatz im Interbankenmarkt. Letzerer wird durch den sogenannten Euro Overnight Index Average (EONIA) dargestellt. Dieser Zinssatz ist ein berechneter Durchschnittssatz, der auf Basis tatsächlicher Kredite im Übernachtgeschäft von 30 Banken ermittelt wird.3 Wie wir sehen, liegt der Hauptrefinanzierungssatz der EZB zwischen Spitzenrefinanzierungs- und Einlagezinssatz. Der Tagesgeldzins (auf dem Interbankenmarkt) liegt ebenfalls zwischen diesen beiden Sätzen und schwankt um den Hauptrefinanzierungszinssatz. Da die EZB in ihren wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften den Banken Geld zum Hauptrefinanzierungszinssatz leiht, ist es nicht verwunderlich, dass der Interbankenzins sich in der Nähe dieses Zinssatzes bewegt.

Abbildung 13: Zinssätze am Interbankenmarkt
Anmerkung: Für den Tagesgeldzinssatz wurde ein monatliches Mittel des EONIA gebildet. Quelle: Bundesbank.

Sollten Reserven im Interbankenmarkt knapp sein, werden Banken die Zinsen für Übernachtkredite verteuern. Weil die Zentralbank aber eine Zinssteuerung verfolgt und der Tagesgeldzinssatz nun von ihrer Zielrate abweicht, wird die EZB zusätzliche Reserven in den privaten Bankensektor bringen wollen, damit der Zinssatz wieder auf das gewünschte Niveau sinkt. Die Zentralbank könnte dies zum Beispiel erreichen, indem sie die Zuteilung der Reserven in ihren Tenderverfahren entsprechend erhöht. Da sich Banken mit negativem Saldo nun wieder Reserven zum günstigeren Zins bei der EZB leihen können, wird die Reservemenge im Interbankenmarkt ansteigen, die Anzahl der Kredite zwischen den Banken auf dem Interbankenmarkt zurück gehen und die Banken werden ihre Zinsen für Übernachtkredite wieder senken.

Wir sehen, dass die EZB nach Ausbruch der Finanzkrise in 2008 begonnen hat, alle drei Zinssätze zu senken, um Kredite günstiger zu machen und so die Investitionen anzuregen. Aber wieso fällt der Interbankenzins zu dieser Zeit auf die untere Grenze des Einlagenzinssatzes? Banken bekamen Angst, dass ihre Geschäftspartner aufgrund der Finanzkrise die Übernachtkredite nicht mehr zurückzahlen würden und haben ihre Überschussreserven lieber auf dem Konto der Zentralbank zum Einlagezins geparkt. Damit Banken nicht in Liquiditätsprobleme kommen, hat die EZB dann in sehr großen Mengen Reserven in den Interbankenmarkt gebracht, um eine Liquiditätskrise zu verhindern und die Stabilität des Bankensystems zu sichern. Seit der Finanzkrise werden Mengentender mit voller Zuteilung verwendet. Das bedeutet, dass Banken sich wöchentlich unbegrenzt Reserven zum Hauptrefinanzierungszinssatz leihen können. Dies haben Banken seit der Finanzkrise vielfach genutzt. Um den Interbankenmarkt zu umgehen, leiht man sich die Reserven von der Zentralbank, die man dann als Vorrat auf den Reservekonten hält. Die Zentralbank hat so zeitweise den Interbankenmarkt ersetzt und der Reserveüberschuss hat den Tagesgeldzinssatz an die Untergrenze gedrückt. Dies ist besonders deutlich, nachdem in 2011/12 die Zentralbank mit längerfristigen Refinanzierungsgeschäften im großen Volumen die Liquidität im Bankensektor erhöht hat. Da Reserven nun im Überfluss vorhanden sind, sinkt der Preis für Reserven auf den Einlagezins.

Seit dem 11. Juni 2014 ist die Einlagefazilität negativ und der Hauptrefinanzierungssatz beträgt seit dem 16. März 2016 Null Prozent. Banken können sich also unbegrenzt mit Liquidität versorgen, ohne dafür einen Zins zahlen zu müssen, sie zahlen aber eine Art Strafe, wenn sie überschüssige Reserven horten. Mit dieser Maßnahme versucht die EZB zuallererst, den Zinssatz langfristiger Wertpapiere zu drücken, um langfristige Investitionen attraktiver zu machen. Die Argumentation, Banken würden hierdurch mehr Kredite vergeben, weil sie andernfalls einen Strafzins auf Reserven zahlen müssen, ist hingegen fragwürdig. Zur Kreditvergabe braucht es ja auch einen willigen und kreditwürdigen Kreditnehmer. Die höheren Kosten der Banken könnten auch zu steigenden Zinsen führen, die sogar einen negativen Effekt auf die Kreditnachfrage hätten.

Wettbewerb im Bankensektor, Kreditgewährung im Gleichschritt und die Nachfrage nach Ersparnissen

Eine offensichtliche Frage, die sich nach dem vorangegangenen Abschnitt stellt, ist die Frage nach der Beschränkung der Kreditschöpfung im privaten Bankensektor. Banken können jederzeit über Nacht unbegrenzt Reserven bekommen und die Zentralbank interveniert, sobald der Zins von ihrem Zielwert abweicht. Wenn selbst die Mindestreserve offensichtlich keinen besonders disziplinierenden Einfluss auf die Kreditvergabe hat, könnte man geneigt sein zu glauben, dass Banken immerfort Kredite im Überfluss schaffen werden. Zunächst einmal sei daran erinnert, dass eine Bank nur in dem Umfang Reserven von der Zentralbank leihen kann, wie sie Sicherheiten ausreichender Bonität vorweisen kann. Banken, die einen großen Teil schlechter Kredite in ihren Bilanzen haben, können sich eben nicht mehr problemlos bei der Zentralbank mit Reserven versorgen. Zudem muss auch eine Nachfrage nach Krediten vorhanden sein, um sie zu schöpfen.

Schauen wir uns noch einmal ein Beispiel an. Eine Bank schöpft einen Kredit von 100 €, der von einem Unternehmen zur Begleichung einer Rechnung auf das Konto einer anderen Bank überwiesen wird. Die Bank hat sich bereits über die Offenmarktoperationen der Zentralbank mit Reserven zum aktuell gültigen Zinssatz von 1 % versorgt. Welchen Zins sollte die Geschäftsbank für den Kredit wählen? Bei der Kreditvergabe entstehen in gleicher Höhe zu verzinsende Einlagen. Zudem muss die Bank für die Reserven, die zur Überweisung der geschöpften Einlagen notwendig wären, 1 % als Zins zahlen. Sie wird daher einen höheren Zins verlangen, um keine Verluste zu machen, wenn der Kunde seine Einlagen verwendet. Die Differenz zwischen dem Kreditzins der Geschäftsbank und dem Zins für Kredite der Zentralbank (bzw. auf die Einlagen der Kunden) beeinflusst die Gewinnspanne der Bank. Da Banken in Konkurrenz zueinander stehen, kann die Bank aber auch keine allzu hohen Zinsen nehmen, weil der Kunde ansonsten den Kredit ggf. bei einer anderen Bank nimmt und ihr der Gewinn vollständig abhanden kommt. Nehmen wir an, die Bank verlangt einen Aufschlag von 2 %, um ihre Kosten zu decken und einen hinreichenden Gewinn zu erzielen, der das Einkommen der Mitarbeiter und Anteilseigner darstellt. Der Kreditzins beträgt dann 3 %.4

Was wird nun passieren, wenn die Zentralbank ihren Leitzins anhebt, sagen wir auf 5 %? Wenn die Kredite bei der Zentralbank auslaufen, müssen die Geschäftsbanken selbige erneuern oder sich Liquidität im Interbankenmarkt leihen, solange sich die Positionen auf der Aktivseite ihrer Bilanz nicht ändern. Die Zentralbank steuert aber den Interbankenzins und wird mit ihren geldpolitischen Instrumenten dem Bankensektor gerade soviel Reserven entzogen haben, dass dieser nun ebenfalls 5 % entspricht. Die Bank wird für den Kredit jetzt mehr als 5 % nehmen müssen, um weiterhin einen Gewinn zu erwirtschaften. Legen wir wieder die 2 % Gewinnaufschlag zu Grunde, so beträgt der Kreditzins nun 7 %. Vermutlich wird dies dazu führen, dass die Nachfrage nach Krediten zurückgeht. Wenn die Banken aber keine Interessenten für Kredite mehr finden, können sie auch keine zusätzlichen Kredite schöpfen. Durch die Zinssteuerung beeinflusst die Zentralbank also die Kreditnachfrage und somit auch das Kreditangebot.

Ein weiterer disziplinierender Faktor ist die Tatsache, dass mit zunehmender Kreditvergabe das Risiko eines Kreditausfalls steigt. Eine Bank weiß, dass grundsätzlich ein Teil ihrer Kredite nicht zurückbezahlt wird, und berücksichtigt dies in ihrem Gewinnaufschlag. Wenn dieser Anteil bei höherer Kreditmenge steigt, muss auch der Gewinnaufschlag steigen, wenn die Bank ihren Gewinn halten möchte. Ein solcher Anstieg wird sich ebenfalls negativ auf die Kreditnachfrage auswirken. Daher wird die Bank ihre Kreditvergabe nicht unbedacht ausweiten.

Die Konkurrenz im Bankensektor hat einen weiteren disziplinierenden Effekt. Sollte eine einzelne Bank nämlich deutlich mehr Kredite vergeben als andere, so braucht diese Bank in der Regel auch mehr Reserven. Die Kredite werden vermutlich verwendet, um Rechnungen von Geschäftspartnern mit Konten bei anderen Banken zu begleichen. Wenn eine Bank mehr Kredite schöpft als andere, ist zu erwarten, dass sie mehr Überweisungen zu anderen Banken tätigt als sie von anderen Banken erhält. Da diese Bank sich nun mehr Reserven leihen muss, sind ihre Zinskosten höher als die der Konkurrenten. Die Bank müsste dies bei ihrer Kreditvergabe berücksichtigen und einen höheren Gewinnaufschlag verlangen als andere. Dies wird sogar noch verstärkt, wenn die höhere Kreditvergabe für sich genommen schon zu einem Risikoaufschlag führt. Der Wettbewerbsnachteil gegenüber den Konkurrenten, der hierdurch entsteht, ist selbstverständlich nicht im Interesse der Bank. Bei Refinanzierung über den Interbankenmarkt würden zudem die Kosten der anderen Banken sinken, da sie über Kredite an diese Bank zusätzliche Zinseinnahmen erzielen.

Es entsteht durch den Wettbewerb also ein gewisser Anreiz, Kredite im ähnlichen Umfang zu schöpfen. Man nennt dies auch eine Kreditschöpfung im Gleichschritt. Aus Tabelle 4 konnten wir entnehmen, dass es keinen vorher festgelegten Zusammenhang zwischen Reserven und Einlagenmenge gibt. Der Bedarf nach Reserven richtet sich vielmehr danach, wie unterschiedlich die Zu- und Abflüsse der Einlagen sind, also an den auszugleichenden Salden. Sollten alle Banken gleichzeitig gleich viel Kredit schöpfen und die Kunden der Banken in exakt gleicher Höhe Überweisungen auf Konten anderer Banken tätigen wie von Kunden anderer Banken Überweisungen eingehen, so entstehen keine Salden und somit auch kein Bedarf nach zusätzlichen Reserven. Lediglich eine ggf. vorgegebene Mindestreserve würde einen zusätzlichen Bedarf erzeugen. Da Mindestreservesätze sich aber im unteren Prozentbereich bewegen (oder bereits ganz abgeschafft wurden), ist dieser gering.

Ein völliger Gleichschritt ist natürlich höchst unwahrscheinlich. Wenn während einer Spekulationsblase aber alle Banken dazu neigen, ihre Kreditvergabe auszuweiten, weil die Ansichten überoptimistisch sind, können die auszugleichenden Salden und damit der zusätzliche Reservebedarf trotz immenser Kreditausweitung sehr gering sein. Eine Zinserhöhung der Zentralbank hat in diesem Fall nur eine schwache Auswirkung, weil nur wenige Reserven benötigt werden und die Mindestreserve von vielen Zentralbanken ja sogar noch zum Hauptrefinanzierungszinssatz verzinst wird.5

Die bisherigen Ausführungen haben alle gezeigt, dass Ersparnisse aus dem Privatsektor bei der Kreditschöpfung überhaupt keine Rolle spielen. Warum wollen Banken dann überhaupt Ersparnisse, wenn diese nicht weiterverliehen werden können?6 Banken versuchen zum Teil mit Lockangeboten wie Gutscheinen oder Bargeld Kunden von anderen Banken abzuwerben. Wozu der Aufwand, wenn man Ersparnisse gar nicht benötigt?

Der Grund ist ganz einfach: Werden Konten einer Bank aufgelöst und bei einer anderen Bank eröffnet, müssen die Einlagen überwiesen werden. Dies kann eine Bank in Schwierigkeiten bringen, wenn sie nicht genügend Reserven hat, um ggf. einen Saldo auszugleichen. Zudem würden bei der Überweisung die Reserven auf dem Zentralbankkonto der Empfängerbank erhöht werden. Anstatt zusätzliche Reserven bei der Zentralbank zum Hauptrefinanzierungszinssatz zu leihen, bekommt man so zusätzliche Reserven zum geringeren Zins für Kundeneinlagen. Eine Bank, die Kundeneinlagen von anderen Banken abwirbt, erlangt also einen Vorteil gegenüber den anderen Banken. Da Banken in Konkurrenz zueinander stehen, werden alle Banken versuchen, einen möglichst großen Vorteil gegenüber den anderen zu erlangen.

MERKE
  • Die Versorgung des privaten Bankensystems mit Reserven erfolgt über Offenmarktgeschäfte (Initiative geht von der Zentralbank aus) oder ständige Fazilitäten (Initiative geht von der Geschäftsbank aus).
  • Geschäftsbanken können sich (gegen die Vorlage einer Sicherheit ausreichender Bonität) jederzeit Reserven über Nacht bei der Zentralbank leihen.
  • Die Mindestreserve spielt eine untergeordnete Rolle und liegt in vielen Ländern derzeit bei Null Prozent.
  • Der Hauptrefinanzierungszinssatz (Leitzins) ist der Zinssatz für die wöchentlichen Offenmarktgeschäfte der Zentralbank.
  • Die Zinssätze der Zentralbank für Spitzenrefinanzierungs- und Einlagefazilität bilden einen Korridor für den Zinssatz im Interbankenmarkt.
Übungsaufgaben/Quizzes

Literatur

DE GRAUWE, P. (2012). Economics of Monetary Union, Oxford University Press.
EHNTS, D. (2016). Geld und Kredit – eine €-päische Perspektive, Metropolis, 2nd ed.

 

Geld und Vermögen

Im Zusammenhang mit Geld werden Begriffe häufig unpräzise verwendet. Daher mag es vorkommen, dass man zwei völlig unterschiedliche Vorgänge mit dem gleichen Namen versieht. Da dies in Diskussionen offensichtlich zu Missverständnissen führen muss, wird der folgende Abschnitt einige Begrifflichkeiten klären, um dies zu verhindern. Vorweg soll jedoch einmal klar gestellt werden, warum jedem Geldvermögen immer eine exakt gleich hohe Verschuldung gegenüberstehen muss.

Ausgaben sind Einnahmen

Betrachten wir das folgende Aussagenpaar:

„Sparen ist gut. Verschuldung ist schlecht.“

Vermutlich klingt dies für Sie sowohl vertraulich wie auch vernünftig. Aus einzelwirtschaftlicher Haushaltssicht lässt sich auch schwerlich bestreiten, dass eine Verschuldung das Risiko trägt, diese zu einem späteren Zeitpunkt nicht zurückzahlen zu können. Ersparnis im Sinne einer Vermögensbildung bietet hingegen den Schutz vor unvorhergesehenen Ereignissen, die zu unerwarteten Ausgaben führen, wie die Reparatur eines Autos oder einer Waschmaschine. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Sichtweise wird jedoch klar, dass beide Ereignisse (Sparen wie Verschuldung) nur gemeinsam auftreten können. Da die Einnahmen des einen immer den Ausgaben des anderen entsprechen, kann es keine Sparer geben, wenn es keine Schuldner gibt.1 Wer Geld spart, gibt weniger aus als er einnimmt. Zwangsläufig müssen nun alle anderen Personen in der Summe mehr ausgeben als sie einnehmen. Selbst dann, wenn man Geld zu Hause unter dem Kopfkissen hortet, gilt, dass der Einnahmeüberschuss nur möglich ist, wenn alle anderen in exakt gleicher Höhe einen Ausgabeüberschuss verzeichnen, in der laufenden Periode also mehr ausgeben als einnehmen. Das Geld, das man unter dem Kopfkissen spart, wurde schließlich dem Kreislauf entzogen und muss irgendwo zu einem Rückgang der Einnahmen führen.

Um Missverständnisse im Keim zu ersticken, verdeutlichen wir uns diesen Zusammenhang anhand eines Beispiels. Betrachten wir eine Beispielökonomie, die aus nur 2 Personen besteht. Person A stellt Nahrungsmittel her und Person B Kleidungsstücke. Nehmen wir an, beide kaufen sich gegenseitig Waren im Wert von 1000 Euro ab. Dann entsprechen die Ausgaben der einen Person gerade den Einnahmen der anderen und beide haben einen ausgeglichenen Budgetsaldo (Einnahmen = Ausgaben). Nehmen wir nun an, Person A möchte Vermögen bilden, indem sie weniger ausgibt als sie einnimmt. Gehen wir davon aus, sie kauft nur noch Waren im Wert von 800 Euro von Person B ab, weil sie 200 Euro sparen möchte. Mit der Ersparnis von Person A sinken nun aber auch die Einnahmen von Person B. Um weiterhin Waren im Wert von 1000 Euro von Person A abzukaufen, müsste sich Person B verschulden. Person A könnte ihr die 200 Euro leihen, die sie nicht ausgegeben hat.

Die Ersparnis (der Vermögensaufbau) von A ist aber nur dann möglich, wenn sich B in der laufenden Periode verschuldet. Angenommen, Person B wäre nicht bereit, sich zu verschulden. Wenn sie ihre Ausgaben reduziert, um sie den gesunkenen Einnahmen anzupassen, kann auch Person A kein Vermögen bilden. Gibt Person B nämlich nur 800 Euro aus, dann sinken wiederum die Einnahmen von Person A und entsprechen wieder ihren Ausgaben. Der Einnahmeüberschuss von A verschwindet, weil B keinen Ausgabeüberschuss zulässt. Unter diesem Umständen ist Person A also gezwungen, ihren Sparplan zu ändern, will sie ihren Ausgabeplan aufrecht erhalten.

Ein Ausgabeüberschuss kann freilich auch aus einem angesparten Vermögen getätigt werden. In diesem Fall würde das Vermögen der entsprechenden Person in der laufenden Periode sinken. Der Einnahmeüberschuss ist dennoch nur möglich, weil es auch einen Ausgabeüberschuss gibt. Zudem kann das angesparte Vermögen nur aus Einnahmeüberschüssen der Vergangenheit entstanden sein. Einem Geldvermögen muss zwangsläufig eine ebenso hohe Verschuldung gegenüberstehen. Man kann also nur dann Ersparnis bilden, im Sinne der Akkumulation von Geldvermögen, solange alle anderen Wirtschaftssubjekte sich in exakt gleicher Höhe verschulden. Der eigenen Forderung muss eine ebenso hohe Verbindlichkeit gegenüberstehen. Lege ich meinen Einnahmeüberschuss z.B. in einen Fonds an, steht meiner Vermögensbildung ein Schuldverhältnis des Fonds gegenüber. Beim Kauf einer Unternehmensanleihe steht meiner Forderung eine Verbindlichkeit des entsprechenden Unternehmens gegenüber, usw. In unserem Beispiel steht der potentiellen Vermögensbildung von Person A eine potentielle Verschuldung der Person B gegenüber (sofern B überhaupt bereit ist, sich zu verschulden und A Ersparnisse bilden zu lassen).

Wenn Sie in ihrem Freundeskreis Eindruck damit schinden möchten, was sie jetzt bereits über Geld gelernt haben, dann bitten Sie diesen doch darum, die Nettoweltverschuldung zu schätzen. Wenn man sich dann mit immer höheren Summen gegenseitig überboten hat, wird man über die korrekte Antwort verblüfft sein. Da Schulden und Vermögen sich global immer zu Null addieren müssen, ist die Nettoverschuldung global natürlich null.2 Die Welt als Ganzes hat ja keinen außerirdischen Sparer, bei dem sie sich verschulden könnte, bzw. keinen außerirdischen Schuldner, der ihr eine Ersparnis ermöglicht.

Reinvermögen, Geldvermögen und Sachvermögen

Das im vorangegangenen Abschnitt behandelte Beispiel eines monetären Kreislaufs hat eines bereits gezeigt: Bei der Schöpfung von Geld wird immer eine Forderung wie auch eine Verbindlichkeit erzeugt. Jedem Geldvermögen steht daher eine Geldverschuldung gleicher Höhe gegenüber. Anders ist es beim Sachvermögen, wie Immobilien, Autos, Fernseher, Möbel etc.. Das gesamte Vermögen setzt sich also aus Geld- und Sachvermögen zusammen und wird häufig als Reinvermögen oder wie im vorangegangenen Abschnitt als Nettovermögen bezeichnet.3

Abbildung 8 zeigt den Zusammenhang zwischen Rein-, Geld- und Sachvermögen. Zum Zahlungsmittelbestand zählt man das Bargeld, welches wir in Form von Scheinen und Münzen in unseren Brieftaschen, unter dem Kopfkissen etc. aufbewahren, sowie das Giralgeld, also der Bestand von Einlagen auf unseren Bankkonten. Nimmt man die sonstigen Geldforderungen hinzu, dies wären die im vorangegangenen Abschnitt erwähnten geldnahen Forderungen und das Quasi-Geld wie eben auch Wertpapiere, usw., ergibt sich das Bruttogeldvermögen. Ziehen wir vom Bruttogeldvermögen die Geldschulden ab, verbleibt das Nettogeldvermögen. Häufig wird auch vereinfacht vom Geldvermögen gesprochen, wenn das Nettogeldvermögen gemeint ist. Das Reinvermögen bzw. Nettovermögen erhält man dann, indem man zum Nettogeldvermögen noch das Sachvermögen hinzuzählt, welches aus allen denkbaren Sachwerten, also langlebigen Gütern besteht. Dies können Kühlschränke, Autos, Immobilien, die heimische Stereoanlage, der Laptop, das Handy usw. sein. Finanzielle Vermögenswerte wie auch das Sachvermögen unterliegen, wie der vorangegangene Abschnitt gezeigt hat, Bewertungsschwankungen, die sich auf das Nettovermögen auswirken.

Abbildung 8: Rein-, Geld- und Sachvermögen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Grass und Stützel (1983, Kapitel 5.3).

Die bisher genannten Definitionen beziehen sich auf die Bestände in einer Bilanz. Mit ihrer Hilfe lassen sich aber auch Transaktionen präzise benennen. Jede Transaktion, die zu einer Erhöhung des Geldvermögens führt nennt man eine Einnahme, jede Transaktion, die das Geldvermögen verringert eine Ausgabe. Einnahmen sollten nicht mit Einkommen verwechselt werden. So kann man das Geldvermögen auch erhöhen, indem man z.B. seine Stereoanlage verkauft. Hierdurch würde man das Sachvermögen reduzieren und gleichzeitig in exakt gleicher Höhe das Geldvermögen steigern (Aktivtausch). Das Reinvermögen hätte sich in diesem Fall aber nicht verändert. Bekommt man hingegen zum Monatsersten sein Einkommen überwiesen, so erhöht sich der Giralgeldbestand und somit der Zahlungsmittelbestand, das Geldvermögen und auch das Reinvermögen. Sollte man bis zum Monatsende sein Einkommen nicht vollständig ausgeben, so ist das Reinvermögen im Vergleich zum Vormonat gestiegen. Eine Ausgabe sollte man zudem nicht mit Konsum verwechseln. Konsum beschreibt den Verbrauch von Gütern. So wäre der Konsum einer guten Flasche Rotwein eine Verringerung des Sachvermögens, weil der Bestand des Weinkellers verringert wurde. Gleichzeitig findet eine Reduktion des Reinvermögens statt, nicht aber die Reduktion des Geldvermögens, sofern sich die Flasche bereits im Besitz des Trinkers befand.

Einnahmen und Ausgaben muss man zudem von Einzahlungen und Auszahlungen unterscheiden. Eine Einzahlung (Auszahlung) erhöht (vermindert) den Zahlungsmittelbestand. Wird der Kauf einer Aktie z.B. aus dem Bestand von Giralgeld gezahlt, so stellt der Kauf eine Auszahlung, aber keine Ausgabe dar. Es hat sich der Zahlungsmittelbestand verringert, ohne dass sich das Geld- oder das Reinvermögen verändert hat. Während Ein- und Ausgaben also zu einer Veränderung des Geldvermögens führen, bewirken Ein- und Auszahlungen eine Veränderung des Zahlungsmitelbestandes. Des Weiteren sind die genannten Transaktionen zu unterscheiden von den Begriffen Ertrag und Aufwand. Ein Ertrag (Aufwand) erhöht (vermindert) das Nettovermögen, zu dem neben dem Geld- auch das Sachvermögen gehört. Das Reinvermögen eines Unternehmens stellt das Eigenkapital dar. Im Privatsektor würde man statt Ertrag und Aufwand eher von Einkommen und Konsum sprechen. Jede Transaktion, die das Reinvermögen erhöht nennt man privat Einkommen und eine Reduktion des Reinvermögens ist Konsum. Der Zusammenhang zwischen den Strom- und Bestandsgrößen ist in Tabelle 3 aufgeführt.

Tabelle 3: Zusammenhang von Bestands- und Stromgrößen

 \begin{center} \begin{tabular}{C{6cm}C{6cm}} \textbf{Bestandsgröße} & \textbf{Stromgröße}\\ \toprule \midrule Zahlungsmittel & Einzahlung (+) / Auszahlung (-)\\ Geldvermögen & Einnahme (+) / Ausgabe (-)\\ Reinvermögen& Ertrag (+) / Aufwand (-)\\ \bottomrule \end{tabular} \end{center} \end{table} \end{document}

Der Verkauf eines Fernsehers gegen Bargeld würde bspw. eine Einzahlung sowie eine Einnahme darstellen, weil sich der Zahlungsmittelbestand wie auch das Geldvermögen erhöht, aber keinen Ertrag, weil sich das Reinvermögen nicht ändert. Die Überweisung des Monatsgehalts erhöht den Zahlungsmittelbestand wie auch Geld- und Reinvermögen, wäre also eine Einzahlung, eine Einnahme und ein Ertrag. Die Bezahlung eines Kinobesuchs mit Bargeld wäre eine Auszahlung, eine Ausgabe und ein Aufwand. Führt der Verkauf einer Aktie zu einer Erhöhung der Bankeinlagen, stellt der Vorgang eine Einzahlung, aber keine Einnahme und keinen Ertrag dar, weil die sonstigen Geldforderungen um den gleichen Betrag gesunken ist wie die Zahlungsmittel im Wert gestiegen sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Einnahme, Einzahlung und Ertrag (Einkommen) häufig gleich gesetzt. Es ist offensichtlich von enormer Bedeutung, die in diesem Abschnitt eingeführten Begriffe präzise zu verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden.

Aber wie entsteht überhaupt Sachvermögen? Nehmen wir an, eine Privatperson nimmt einen Kredit in Höhe von 500.000 € auf. Die Bilanzen von Kreditnehmer und Bank (in Tsd. €) sehen wie folgt aus:

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredit & 500 & Einlagen & 500 \end{tabular} {~~}  \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 500 & Kredit & 500 \end{tabular} \end{tabular} \end{center} \end{document}

Nun beauftragt sie ein Bauunternehmen damit, ihr ein Haus im Wert von 500.000 € zu bauen. Hierzu überweist die Person dem Unternehmen das Geld:

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bauunternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 500 & Verbindlichkeiten & 500 \end{tabular} {~~}  \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & \sout{500} & Kredit & 500\\ Forderung & 500 & & \end{tabular} \end{tabular} \end{center} \end{document}

Die Privatperson besitzt nun eine Forderung (in Form eines Vertrages) gegenüber dem Bauunternehmen, welche die Lieferung einer Immobilie im Wert von 500.000 € beinhaltet. Das Unternehmen wird nun Material und Arbeitskraft aus dem Privatsektor abkaufen, um den Auftrag zu erfüllen. Da das Unternehmen einen Gewinn erwirtschaften möchte, gehen wir davon aus, dass die Ausgaben des Unternehmens sich lediglich auf 450.000 € belaufen:4

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bauunternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 50 & Verbindlichkeiten & 500\\ Haus&500&Nettovermögen & 50 \end{tabular} {~~}  \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatsektor}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 450 & Nettovermögen & 450 \end{tabular} \end{tabular} \end{center} \end{document}

Zu guter Letzt erfüllt der Bauunternehmer die vertragliche Vereinbarung und überschreibt die Immobilie im Wert von 500.000 € der Privatperson:

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Haus & 500 & Kredit & 500 \end{tabular} {~~}  \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bauunternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 50 & Nettovermögen & 50 \end{tabular} \end{tabular} \end{center} \end{document}

Bisher ist die Person nicht vermögender geworden, denn dem Wert des Hauses steht eine Verbindlichkeit gleicher Höhe in Form des Kredites gegenüber. Dennoch ist in der gesamten Beispiel-Ökonomie ein Nettovermögen in Wert von 500.000 € entstanden, weil ein Sachwert dieser Höhe geschaffen wurde. Dieses Nettovermögen befindet sich derzeit in den Händen des Unternehmens sowie in den Händen des restlichen Privatsektors, nämlich der Arbeitnehmer und Zulieferer, die an dem Bauprojekt mitverdient haben. Aggregiert man alle Einzelbilanzen zu einer gesamtwirtschaftlichen und konsolidiert dabei Geldforderungen und -verbindlichkeiten, bleibt lediglich das Sachvermögen als Identität des Nettovermögens übrig. Nur durch die Schaffung des Sachwertes war es möglich, das Reinvermögen zu erhöhen. Daher sind Investitionen in Sachvermögen auch so bedeutsam für eine Volkswirtschaft. Sie stellen das tatsächliche vorhandene Vermögen in Form von Straßen, Gebäuden, Autos, Schiffen etc. dar.

Wie kann die Privatperson nun aber den Kredit tilgen? Wie wir gesehen haben ist im Privatsektor Einkommen entstanden, welches zusätzlicher Kaufkraft entspricht. Geben die Haushalte ihr Einkommen aus, wird dies auch dem Hauskäufer zu Gute kommen, da auch seine Arbeitsleistung gefragt sein wird, sofern alles gut verläuft und keine Wirtschaftskrise zur Hortung von Geldvermögen führt. Das Einkommen, welches er mit dem Verkauf seiner Arbeitskraft erzielt, wird wiederum ausgegeben und Einkommen bei anderen Personen erzeugen. So zirkuliert das geschaffene Geld im Wirtschaftskreislauf und der Hauskäufer kann aus seinem zukünftigen Einkommen jeden Monat einen Teil seines Kredites zurückzahlen, bis dieser völlig getilgt ist und das Geld bei Rückzahlung wieder vernichtet wird:

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{cc} \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredit & \sout{500} & Einlagen & \sout{500} \end{tabular} {~~}  \begin{tabular}[t]{p{2,9 cm}R{0.7cm}|p{2,9cm}R{0.7cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & \sout{500} & Kredit & \sout{500}\\ Haus&500&Nettovermögen&500 \end{tabular} \end{tabular} \end{center} \end{document}

Dieser Zusammenhang zwischen Ersparnis, Geld- und Sachvermögensbildung wird auch den Kern des folgenden Abschnitts bilden.

Gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung ist Sachvermögensbildung

Wie das vorangegangene Beispiel gezeigt hat, bleibt nach Konsolidierung aller Einzelbilanzen lediglich die Sachvermögensbildung als gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung übrig. Eine Volkswirtschaft ohne Außenhandel kann offensichtlich kein Geldvermögen anhäufen, da jeder Geldvermögensbildung gleichzeitig eine neue Verschuldung gegenübersteht. Sachvermögensbildung bezeichnet man volkswirtschaftlich auch als Investition. Demnach muss auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Ersparnis (Vermögensbildung) gerade den Investitionen entsprechen. Viele schließen hieraus vorschnell, dass Ersparnisse Investitionen finanzieren und deswegen identisch sein müssten. Dies ist aber zu kurz gedacht, wie wir im Folgenden sehen werden.

Die Vorstellung, dass Ersparnisse Investitionen finanzieren, liegt vielfach nämlich daran, dass Ersparnis im volkswirtschaftlichem Sinne nicht dem entspricht, wofür man diesen Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet. Vielleicht wäre es sinnvoll, den Begriff der Ersparnis aus dem volkswirtschaftlichen Vokabular zu streichen und statt dessen den präziseren Begriff der Vermögensbildung zu verwenden, den man sogar noch stärker präzisieren kann, indem man zwischen Geld- und Sachvermögensbildung unterscheidet. Dass volkswirtschaftlich Ersparnis und Investition identisch sein müssen, kann man, wie gesehen, relativ einfach mit den im vorangegangenen Abschnitt eingeführten Begriffen nachweisen.

Vergleichbar mit dem Begriff „Konsum“ wird auch der Begriff „Ersparnis“ häufig für sehr unterschiedliche Vorgänge verwendet:

  • Reinvermögensbildung: Die Differenz zwischen Ertrag (Einkommen) und Aufwand (Konsum) der selben Periode.
  • Geldvermögensbildung: Die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben der selben Periode. Das Geldvermögen des Einzelnen kann im Gegensatz zum Reinvermögen auch durch
    den Verkauf von Sachvermögensgütern gesteigert werden.
  • Konsumeinschränkung: Verringerung der Konsumausgaben im Vergleich zur Vorperiode.

Diese drei Bedeutungen werden oft gleichgesetzt, können sich, wie wir gesehen haben, aber unterscheiden. Bei steigendem Einkommen, wäre es für einen Haushalt zum Beispiel möglich, sein Rein- und sein Geldvermögen zu erhöhen ohne seinen Konsum einschränken zu müssen, etc. Um ein weiteres Mal zu zeigen, wie wichtig ein richtiger Umgang mit diesen Begriffen sein kann, werden wir ein weiteres Mal zur Vereinfachung von einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatlichen Sektor ausgehen, um die folgende Argumentation zunächst im Grundsatz zu verstehen. Das bedeutet, dass sich Personen und Unternehmen im Privatsektor gegenseitig Geld leihen können, es aber keine Möglichkeit gibt, dem Staat oder dem Ausland Geld zu leihen (bzw. sich zu borgen). Wir werden im folgenden Abschnitt diese Annahmen dann fallen lassen und die Argumente verallgemeinern.

Für eine Einzelperson gilt, dass sie ihr Geldvermögen erhöht, wenn ihre Einnahmen die Ausgaben übersteigen. Dies ist aber nicht möglich, wenn sich kein anderer verschuldet. Da jeder Forderung eine Verbindlichkeit gegenüberstehen muss, gilt, dass eine Geldvermögensbildung einer Person nur in der Höhe möglich ist, wie alle anderen Personen in der Summe ihr Geldvermögen verringern, sich also verschulden. Für die Gesamtheit gilt, dass sie ihr Geldvermögen nicht verändern kann. Dies ist bei Sachvermögensbildung, also Investitionen (Maschinen, Gebäude, etc.) wie wir gesehen haben anders. Gesamtwirtschaftliche Ersparnis muss daher immer eine Sachvermögensbildung, also eine Investition sein. Eine einzelne Person kann sparen, indem sie Geldvermögen oder Sachvermögen bildet. Da für die Gesamtheit aber gilt, dass eine Veränderung des Geldvermögens nicht möglich ist, muss die aggregierte Ersparnis logischerweise der Sachvermögensbildung, also der Investitionen, entsprechen, weil die Nettogeldvermögensbildung im Aggregat immer Null sein muss.

Dies ist aber lediglich eine Identität, die keine Kausalität erklärt. Gleichzeitig zeigt die zwangsläufige Identität, dass man als Volkswirtschaft keine Ersparnis bilden kann, wenn diese nicht zeitgleich eine Investition ist. Da diese Identität zwingend logisch immer gelten muss, kann man gesamtwirtschaftlich auch keine Ersparnisse anhäufen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu investieren, weil die Ersparnis der Vergangenheit ja bereits in der Vergangenheit investiert wurden. Gesamtwirtschaftlich ist ein Ansparen also nicht möglich. Die einzelwirtschaftliche Sichtweise, dass man für den Erwerb eines Gutes anspart, ist aus gesamtwirtschaftlicher Sichtweise demnach irreführend. Ein Unternehmer kann jederzeit von einer Bank einen Kredit bekommen, wenn er ein sinnvolles Investitionsvorhaben vorlegen kann. Das Geldvermögen hat sich auch hierdurch nicht geändert, weil mit dem Kredit wieder Forderungen und Verbindlichkeiten gleicher Höhe geschaffen wurden. Eine Ersparnis ist dafür nicht notwendig, da die Bank das Geld für den Kredit aus dem Nichts schöpft. Es ist also die Investition, die zur Sachvermögensbildung führt, und so eine Ersparnis erst ermöglicht, nicht umgekehrt.

Ein Anstieg der Investitionen muss zudem noch nicht einmal notwendigerweise mit einem Anstieg der Kredite einhergehen. Angenommen ein Unternehmer entscheidet sich bei zunächst ausgeglichenem Budget dazu, seine Investitionen zu erhöhen. Daraufhin übersteigen seine Ausgaben die Einnahmen und er benötigt einen Kredit (einzelwirtschaftlich). Dies muss aber nicht zwangsläufig zu einer zusätzlichen Kreditaufnahme des gesamten Unternehmenssektors führen (der Gesamtheit der Unternehmer). Wenn der Unternehmer beispielsweise zusätzliche Arbeitskräfte bezahlt, steigen die Einlagen im Haushaltssektor. Sollte dieser aber keine Ausweitung der Vermögensbildung wollen, so wird er das Geld wieder ausgeben. Dies wäre ein ebenso großer monetärer Ablauf aus dem Haushaltssektor wie es ein Zulauf für den Unternehmenssektor wäre. Die Unternehmen, die jetzt einen höheren Gewinn erzielen, können ihre geplanten Investitionen nun mit einem geringeren Kredit tätigen und die Gesamtheit der Kredite bleibt gleich, weil der Unternehmenssektor als Ganzes sich nur in der Höhe verschulden kann wie der Haushaltssektor Vermögen bildet. Dies zeigt noch einmal, dass gesamtwirtschaftliche Phänomene ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als die einzelwirtschaftlichen. Die Investition ist Sachvermögensbildung und stellt somit im Aggregat eine volkswirtschaftliche Ersparnis dar. Es hat aber niemand willentlich seinen Konsum reduziert und die Menge der Kredite ist ebenfalls nicht gestiegen.

Anwendung auf aktuelle Probleme

Die Unterscheidung zwischen Geld- und Sachvermögen spielt auch in Debatten über die Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme eine bedeutende Rolle. Viele Länder sind seit einigen Jahren
aufgrund einer veränderten demographischen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung willens, die umlagefinanzierten Rentensysteme gegen kapitalgedeckte Systeme zu ersetzen. Der volkswirtschaftliche
Grund für die Überlegenheit der letzteren ist angeblich die Kapitalbildung (die Bildung von Sachvermögen, welches zur Produktion verwendet wird), welche zu einem späteren Zeitpunkt die Menge der produzierten Güter erhöht. Diese Sachvermögensbildung würde in der Tat den späteren Wohlstand der Volkswirtschaft erhöhen. Die zusätzlich produzierten Güter könnte man den Rentnern und Renterinnen zu Gute kommen lassen. Allerdings ist die zusätzliche private Ersparnis zunächst nur eine Geldvermögensbildung, die nicht zwangsläufig eine Investition nach sich ziehen muss. Ersparnis ist zunächst einmal lediglich Nicht-Konsum und könnte Unternehmen auch dazu veranlassen, weniger zu investieren, wodurch der spätere Kapitalstock sogar geringer ausfallen könnte als unter einem umlagefinanzierten System. In Deutschland sind seit Anfang der 2000er die Investitionen tatsächlich auf einem historischen Tief und die Produktivität steigt seit dem kaum. Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung, weil Produktivitätssteigerungen volkswirtschaftlich der einzige Weg sind, um bei einer geringeren Anzahl von Arbeitnehmern die Produktion zu steigern oder zumindest konstant zu halten. Wie wir gesehen haben entspricht das Nettovermögen einer Volkswirtschaft gerade seinem Sachvermögen. Wenn das Ziel eine Verbesserung der Lebensbedingungen zukünftiger Generationen ist, sollte man also Investitionen fördern und nicht Ersparnis.

Die hohe Verschuldung einiger Länder seit der Finanzkrise ist im Übrigen kein Generationenkonflikt, in dem Sinne, dass die heute Lebenden, den morgen erst Geborenen eine Last hinterlassen. Die kommenden Generationen erben ja ebenso die Schulden wie die Vermögen der vorangegangenen. Aus Sicht der gesamten Volkswirtschaft handelt es sich bei Staatsverschuldung um eine reine Bilanzverlängerung, ohne dass das Nettovermögen sich ändern würde. Die Ausgabe einer Staatsanleihe steigert die Verschuldung des Staates nämlich in exakt gleicher Höhe wie die Vermögensbildung im Privatsektor. Innerhalb der kommenden Generation gibt es natürlich solche Personen, die von der Vermögensbildung ihrer Eltern profitieren und solche, die dies nicht tun. Dies ist aber bestenfalls ein Verteilungskonflikt innerhalb der kommenden Generation und nicht zwischen den Generationen.5

Staatsschulden werden ohnehin nicht zurückgezahlt, sondern  „überrollt“: Wenn ein Kreditvertrag ausläuft, nimmt der Staat einfach einen neuen auf. Da eine Regierung wegen der Quasi-Nichtinsolvenzfähigkeit ein besonders beliebter Schuldner unendlicher Lebensdauer ist, kann sie dieses Spiel prinzipiell ewig weiter treiben. Sollte sie kein Geld bekommen, kann zudem notfalls auch die Zentralbank einspringen, als sogenannter Kreditgeber der letzten Instanz. Dies gilt auch bei Berücksichtigung der Zinszahlungen, die ja bedient werden müssen. Denn auch diese erzeugen bei genauer Betrachtung keinen Konflikt zwischen den heute Lebenden und den morgen erst Geborenen. Nehmen wir an, dass der Staat mit seinen Steuereinnahmen die Zinsen begleicht. Dann befinden sich die Empfänger der Zinszahlungen ebenfalls in der gleichen Generation wie die Steuerzahler. Das Geld muss zu exakt der Zeit gezahlt werden, in der die Zinsen anfallen. Auch die Zinsen stellen also bestenfalls ein Verteilungs- und kein Generationenproblem dar, weil sich Schuldner und Gläubiger immer unter den derzeit Lebenden befinden. Forderungen und Verbindlichkeiten existieren immer zum gleichen Zeitpunkt. Man müsste mit Hilfe einer Zeitmaschine Geldüberweisungen aus der Zukunft erfinden, damit so etwas wie ein Generationen übergreifender Konflikt aufgrund von Schuldverhältnissen entstehen könnte. Eine Schuldrückzahlung muss immer zwingend logisch innerhalb der derzeit Lebenden stattfinden, da Tote keine Schulden zurückzahlen können.

MERKE
  • Vermögensaufbau in Geldeinheiten (der Aufbau von Geldvermögen) ist nur möglich bei gleichzeitiger Verschuldung anderer Personen oder Unternehmen. Ohne Verbindlichkeiten kann es auch keine Forderungen geben.
  • „Ersparnis“ ist ein Begriff, der für ganz unterschiedliche Vorgänge verwendet wird. Trennschärfer ist es zwischen Rein-, Geld- und Sachvermögensbildung sowie Konsumeinschränkung zu unterscheiden.
  • Für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne Staat muss die Vermögensbildung des Privatsektors immer Sachvermögensbildung sein, weil eine Geldvermögensbildung im Aggregat nicht möglich ist.
  • Für eine geschlossene Volkswirtschaft inkl. Staat ist eine Geldvermögensbildung im Privatsektor in exakt der Höhe möglich, in welcher der Staat sein Geldvermögen reduziert (eine Netto-Neuverschuldung zulässt).
  • Verschuldung erzeugt keinen Generationenkonflikt, da Schuldner und Gläubiger immer zur gleichen Zeit leben.
Übungsaufgaben/Quizzes

 

Literatur

GRASS, R. UND W. STÜTZEL (1983). Volkswirtschaftslehre: eine Einführung auch für Fachfremde, Vahlen.
LINDNER, F. (2012). “Saving does not finance Investment: Accounting as an indispensableguide to economic theory,” IMK Working Paper 100-2012, IMK at the Hans Boeckler Foundation, Macroeconomic Policy Institute.
SCHMIDT, J. (2011). Die Bedeutung der Saldenmechanik für die makroökonomische Theoriebildung, Marburg : Metropolis-Verl., 111–147.
SCHMIDT, J. (2012). Die Bedeutung der Saldenmechanik für die makroökonomische Theoriebildung, Marburg : Metropolis-Verl., 111–147.
STÜTZEL, W. (1978). Volkswirtschaftliche Saldenmechanik: ein Beitrag zur Geldtheorie, Tübingen: Mohr.
STÜTZEL, W. (1979). Sparen – Fluch oder Segen? Anmerkungen zu einem alten Problem aus Sicht der Saldenmechanik, Marburg : Metropolis-Verl., 61–85.

 

Grundlagen der doppelten Buchführung

Der italienische Mathematiker Luca Pacioli gilt als Erfinder der doppelten Buchführung und hat bereits 1494 in seinem Buch „Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità“ die Grundlagen für eine bilanzielle Erfassung ökonomischer Größen gelegt. Auch wenn der Umgang mit Bilanzen von den meisten Menschen (zu Recht) als Qual empfunden wird, helfen gewisse Grundkenntnisse über den Umgang mit Bilanzen, eine inkonsistente Argumentation zu vermeiden. Zudem bieten Bilanzierungsansätze eine übersichtliche und schematische Darstellung, die insbesondere das Verständnis der Geldschöpfung im Bankensektor erheblich erleichtert. Daher soll der vorliegende Abschnitt eben solche Grundkenntnisse vermitteln. Wir beschränken uns hierbei auf den Teil, der zum Verständnis makroökonomischer Transaktionen hilfreich ist und werden nicht auf betriebswirtschaftlich bedeutsame Posten von Unternehmensbilanzen eingehen, sofern wir dies nicht für nötig erachten. Das Kapitel beginnt jedoch mit der Unterscheidung zwischen Bestands- und Stromgrößen, die sowohl für die Makroökonomik wie für das Verständnis von Bilanzen wesentlich ist.

Bestands-und Stromgrößen

I have found out what economics is; it is the science of confusing stocks with flows.

– Michal Kalecki, ca. 1936, zitiert nach Godley und Lavoie (2007, S. 1).

In der Volkswirtschaftslehre unterscheidet man zwischen Größen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden, wie z.B. das Vermögen, und solchen die über einen Zeitraum (also pro Zeiteinheit) gemessen werden, wie z.B. die Ersparnis. Erstere nennt man Bestandsgrößen, Letztere Strom- oder Flussgrößen. Der Zusammenhang zwischen beiden Größen lässt sich am Einfachsten an einem Beispiel erklären. Die Bestandsgröße Vermögen am Ende dieses Jahres entspricht der Bestandsgröße Vermögen am Ende des letzten Jahres zuzüglich der Stromgröße Ersparnis während des laufenden Jahres. Anders formuliert: Die Bestandsgröße ist das heutige Vermögen und die Stromgröße ist das, was innerhalb des nächsten Jahres an Ersparnissen zu dem Vermögen hinzu kommt.

Oft wird auch der Zusammenhang zwischen dem Bestand an Maschinen, der sogenannte Kapitalstock, und dem Zuwachs der Maschinen, i.d.R. als Investition bezeichnet, als Beispiel verwendet. Der Kapitalstock ist eine Bestandsgröße, die zu einem Zeitpunkt (z.B. Ende des Jahres) gemessen wird, und die Investitionen sind eine Stromgröße, die über einen Zeitraum gemessen werden, z.B. im Laufe eines Jahres. Der Maschinenbestand am Ende eines Jahres entspricht dann dem Maschinenbestand Ende des letzten Jahres zuzüglich der neu gekauften Maschinen innerhalb dieses Jahres. Typische Bestandsgrößen sind Vermögen oder Schuldenstand; typische Stromgrößen sind Einkommen, Ersparnis oder Neuverschuldung. Tabelle 2 gibt einige Beispiele für Bestands- und Stromgrößen.

Tabelle 2: Bestands- und Stromgrößen

 \begin{tabular}{C{8cm}C{8cm}} \textbf{Bestandsgrößen [Maßeinheit]}& \textbf{Stromgrößen [Maßeinheit]}\\ \toprule \midrule Kapitalstock [GE] & Investitionen [GE/Jahr]\\ Bevölkerung [Personen]&Sterbefälle [Personen/Jahr]\\ Schuldenstand [GE] & Nominales Bruttoinlandsprodukt [GE/Jahr]\\ Vermögen [GE] & Ersparnis [GE/Jahr]\\ Arbeitslose [Personen] & Technische Abschreibungen [GE/Jahr]\\ \bottomrule \end{tabular}

T-Konten und Bilanzen

Den Grundbaustein für die doppelte Buchführung bilden die T-Konten. Mit deren Hilfe lassen sich Bestands- und Stromgrößen detailliert erfassen. Der Ausdruck Bilanz ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet so viel wie Waage oder Gleichgewicht. Eine Bilanz ist dementsprechend ein T-Konto, das immer ausgeglichen sein muss. Die Bilanz umfasst die Bestände aller Guthaben (+) und Schulden (-) bzw. Forderungen (+) und Verbindlichkeiten (-) bzw. Aktiva (+) und Passiva (-) eines Individuums oder einer Institution.

 \setlength{\tabcolsep}{1mm} \begin{center} \begin{tabular}{p{3cm}R{1cm}|p{4cm}R{1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Individuum/Institution}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Guthaben& (+) & Schulden &(-) \end{tabular} \end{center} \end{document}

In der Regel stellen Privatpersonen keine Bilanz über ihre eigenen Forderungen und Verbindlichkeiten auf. In manchen Fällen, wie z.B. bei einer Kreditaufnahme oder bei einer Schuldenberatung wird es jedoch nötig, sich über das eigene Vermögen im Klaren zu sein. Da niemand genau so viele Forderungen wie Verbindlichkeiten aufweist, wird immer ein Restposten übrig bleiben. Dieser Restposten wird als Nettovermögen bzw. Reinvermögen bezeichnet. Wenn die Forderungen höher sind als die Verbindlichkeiten ist das Nettovermögen positiv, falls es umgekehrt ist, ist das Nettovermögen negativ. In einem Unternehmen wird das Nettovermögen als Eigenkapital bezeichnet. Bei Nicht-Ausschüttung erzielter Gewinne, würde sich dieses vergrößern. Das Unternehmen würde also eine Ersparnis (Stromgröße) bilden und damit das Vermögen (Bestandsgröße) erhöhen. Die Bilanz einer Privatperson könnte z.B. so aussehen:

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Forderungen & 20 \euro & Verbindlichkeiten & 10 \euro \\ & & Nettovermögen & 10 \euro \end{tabular}

Besitzgegenstände wie Immobilien, Aktien, Bankeinlagen und Bargeld werden in einer Bilanz auf der linken Seite, der sogenannten Aktivseite, aufgelistet. Die Verbindlichkeiten, also das, was eine Person an Schulden hat, werden auf der rechten Seite, der Passivseite, eingetragen. Jeder einzelne Posten kann wiederum in einem (Unter-)T-Konto detaillierter erfasst sein. Diese Unterkonten werden i.d.R. in Aktiv- und Passivkonten unterteilt und erfassen den Anfangsbestand einer Größe sowie deren Zu- und Abgänge. Die Bilanz einer Beispielperson ist in der Abbildung unten gegeben.

Abbildung 4: Bilanzierungsbeispiel mit Unterkonten

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 500 \euro\\ Aktien & 100 \euro & Nettovermögen & 110 \euro\\ Bankeinlagen & 10 \euro & & \end{tabular}

 \begin{tabular}{cc} $\swarrow$ & $\searrow$\\ \underline{\textbf{\texttt{Aktivkonten}}} & \underline{\textbf{\texttt{Passivkonten}}}\\ ~&~\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{1.9cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Immobilien}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB & 500 \euro&Abgang & 0 \euro\\ Zugang & 0 \euro& \textbf{EB} & \textbf{ 500 \euro} \end{tabular} & %{~~} \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Hypotheken}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang & 0 \euro& AB & 500 \euro\\ \textbf{EB} & 500 \euro& Zugang & 0 \euro \end{tabular}\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Aktien}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB & 100 \euro& Abgang & 0 \euro \\ Zugang & 0 \euro&\textbf{EB} & \textbf{100 \euro} \end{tabular} & %{~~} \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Nettovermögen}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang & 0 & AB & 110 \euro\\ \textbf{EB} & 110 \euro & Zugang & 0 \euro \end{tabular} \\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Bankeinlagen}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB & 10 \euro& Abgang & 0 \euro \\ Zugang & 0 \euro& \textbf{EB} & \textbf{10 \euro} \end{tabular} & \end{tabular}

In den Aktivkonten werden die Anfangsbestände (AB) der Vermögen auf der Soll-Seite verbucht, in den Passivkonten werden die Anfangsbestände der Verbindlichkeiten auf der Haben-Seite verbucht. Zugänge sind entsprechend im Aktivkonto auf der Soll- und im Passivkonto auf der Habenseite zu finden. Umgekehrt verhält es sich mit den Abgängen in einem Unterkonto. Der Saldo des jeweiligen Unterkontos (die Differenz zwischen Soll- und Habenseite) ergibt dann den Endbestand (EB) des entsprechenden Kontos und somit den Eintrag im Posten der Gesamtbilanz. Für unsere Zwecke wird es häufig ausreichen, die Bilanzen ohne Aktiv- und Passivkonten zu betrachten, wir werden also meist auf Unterkonten verzichten.

Häufig werden Buchungen verkürzt durch Buchungssätze dargestellt. Nehmen wir an, unsere Beispielperson erwirbt mit ihren Bankeinlagen Aktien im Wert von 5 Euro. Der Buchungssatz wäre dann „Aktien an Bankeinlagen 5 €“ Zunächst wird das Unterkonto genannt, in dem auf der linken Seite (der Soll-Seite) gebucht wird, dann das Unterkonto, bei dem auf der rechten (der Haben-Seite) gebucht wird („Soll an Haben“). Da im Deutschen auch von links nach rechts gelesen wird, kann man sich dies relativ einfach merken. Anders ausgedrückt wird zunächst das Konto genannt, für das die finanziellen Mittel aufgewendet werden (Mittelverwendung), und dann das Konto, von dem die Mittel genommen werden (Mittelherkunft).  Die Veränderung der Konten unserer Beispielperson ist im oberen Abschnitt der folgenden Abbildung 5 dargestellt.

Abbildung 5: Aktiv- und Passivtausch

 \underline{\textbf{Aktivtausch: Aktien an Bankeinlagen 5 \euro}}\\ ~\\ \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 500 \euro\\ Aktien & 105 \euro & Nettovermögen & 110 \euro\\ Bankeinlagen & 5 \euro & & \end{tabular}

 \begin{tabular}{cc} $\swarrow$ & $\searrow$\\ \underline{\textbf{\texttt{Aktivkonten}}} & \underline{\textbf{\texttt{Passivkonten}}}\\ ~&~\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Aktien}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB & 100 \euro& Abgang & 0 \euro \\ Zugang & 5 \euro&\textbf{EB} & \textbf{105 \euro} \end{tabular} &\begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline ~ & ~& ~ & ~ \end{tabular}\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Bankeinlagen}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB & 10 \euro& Abgang & 5 \euro \\ Zugang & 0 \euro& \textbf{EB} & \textbf{5 \euro} \end{tabular} &~ \end{tabular}

 \underline{\textbf{Passivtausch: Hypotheken an Kredite 100 \euro}}\\ ~\\ \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 400 \euro\\ Aktien & 105 \euro & Kredite & 100 \euro\\ Bankeinlagen & 5 \euro & Nettovermögen & 110 \euro \end{tabular}

 \begin{tabular}{cc} $\swarrow$ & $\searrow$\\ \underline{\textbf{\texttt{Aktivkonten}}} & \underline{\textbf{\texttt{Passivkonten}}}\\ ~&~\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline ~ & ~& ~ & ~ \end{tabular} & \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Hypotheken}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang &100 \euro & AB & 500 \euro\\ \textbf{EB} &\textbf{400 \euro}&Zugang &0 \euro\\ \end{tabular}\\ & \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Kredite}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang & 0 \euro& AB & 0 \\ \textbf{EB} & \textbf{100 \euro}& Zugang & 100 \euro\\ \end{tabular} \end{tabular}

In unserem kleinen Beispiel hat der zusätzliche Kauf der Aktien lediglich zu einer Veränderung innerhalb der Aktivseite der Bilanz geführt. Es wurden daher auch nur die Aktivkonten von dem Vorgang berührt. Man spricht daher auch von einem Aktivtausch. Eine Buchung die lediglich die Passivseite betrifft, nennt man dementsprechend einen Passivtausch. Unsere Beispielperson könnte sich zum Beispiel 100 € von ihrem Nachbarn leihen, um einen Teil der Hypothekenschuld zurückzuzahlen. In diesem Fall wäre der Buchungssatz „Hypotheken an Kredite 100€“ und es würde ein neues Unterkonto auf der Passivseite der Bilanz auftauchen wie im unteren Teil in Abbildung 5 dargestellt. Der Saldo auf dem Passivkonto „Hypotheken“ beträgt jetzt nur noch 400 €. Das Nettovermögen der Privatperson hat sich aber nicht verändert, weil nun ein zusätzlicher Kreditvertrag mit dem Nachbarn besteht.

Neben Aktiv- und Passivtausch gibt es noch die sogenannte Bilanzverlängerung bzw. -verkürzung. Diese Buchungstypen erhöhen bzw. vermindern Aktiv- und Passivseite um den selben Betrag. Würde sich unsere Beispielperson dazu entscheiden, einen weiteren Kredit in Höhe von 100 € aufzunehmen, um damit zusätzliche Aktien zu kaufen, so wäre der entsprechende Buchungssatz „Aktien an Kredite 100 €“. Auf der Passivseite würden sich die Verbindlichkeiten (der Kredit) und auf der Aktivseite das Konto „Aktien“ um den gleiche Betrag von 100 € erhöhen. Dieser Vorgang ist in der oberen Hälfte von Abbildung 6 gezeigt. Die Bilanz wäre entsprechend um 100 € verlängert worden. Die untere Hälfte zeigt eine Bilanzverkürzung. Unsere Beispielperson verwendet 5  € ihrer Einlagen, um in einem Eiscafé eine Rechnung zu begleichen. Da es sich bei dem Eis um ein Konsumgut handelt, das sofort verspeist wird, und nicht um ein längerfristiges Gut wie eine Immobilie, ist die Gegenbuchung eine Reduktion des Nettovermögens. Im Ergebnis wurde die Bilanz um 5 € verkürzt.

Abbildung 6: Bilanzverlängerung und Verkürzung

 \underline{\textbf{Bilanzverlängerung: Aktien an Kredite 100 \euro}}\\ ~\\ \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 400 \euro\\ Aktien & 205 \euro & Kredite & 200 \euro\\ Bankeinlagen & 5 \euro & Nettovermögen & 110 \euro \end{tabular}

 \begin{tabular}{cc} $\swarrow$ & $\searrow$\\ \underline{\textbf{\texttt{Aktivkonten}}} & \underline{\textbf{\texttt{Passivkonten}}}\\ ~&~\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Aktien}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB &105 \euro & Abgang & 0 \euro\\ Zugang & 100 \euro& \textbf{EB} &\textbf{205 \euro} \end{tabular} & \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Kredite}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang & 0 \euro& AB & 100 \\ \textbf{EB} & \textbf{200 \euro}& Zugang & 100 \euro \end{tabular} \end{tabular}

 \underline{\textbf{Bilanzverkürzung: Nettovermögen an Bankeinlagen 5 \euro}}\\ ~\\ \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 400 \euro\\ Aktien & 205 \euro & Kredite & 200 \euro\\ Bankeinlagen & 0 \euro & Nettovermögen & 105 \euro \end{tabular}

 \begin{tabular}{cc} $\swarrow$ & $\searrow$\\ \underline{\textbf{\texttt{Aktivkonten}}} & \underline{\textbf{\texttt{Passivkonten}}}\\ ~&~\\ \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Bankeinlagen}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline AB &5 \euro & Abgang & 5 \euro\\ Zugang & 0 \euro& \textbf{EB} &\textbf{0 \euro} \end{tabular} & \begin{tabular}[t]{p{2cm}R{1.1cm}|p{2cm}R{1.1cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{Soll}\hfill\textbf{Kredite}\hfill\textbf{Haben}}\\ \hline Abgang & 5 \euro& AB & 110 \\ \textbf{EB} & \textbf{105 \euro}& Zugang & 0 \euro \end{tabular} \end{tabular}

Wer sich bisher nicht mit Bilanzen und Vermögen beschäftigt hat, mag an dieser Stelle überrascht sein. Lediglich die Begleichung der Rechnung im Eiscafé hat zu einer Veränderung des Nettovermögens geführt. Weder der Kauf von Aktien aus dem eigenen Einlagenbestand noch der Kauf mit Hilfe eines neuen Kredits hat das Verhältnis von Forderungen zu Verbindlichkeiten verändert. Nur der Erwerb eines Konsumgutes, welches sofort verbraucht, also wieder vernichtet wurde, hat das Nettovermögen verändert, weil den Ausgaben kein neuer Vermögenswert gegenübersteht. Diese Zusammenhänge werden wir im kommenden Abschnitt zu „Geld und Vermögen“ vertiefen. Zunächst sollen mit Hilfe der bilanziellen Darstellung aber ein intuitiver Zugang zu einem monetären Kreislauf vermittelt und schwankende Immobilienpreise analysiert werden.

Beispiel 1: Ein monetärer Kreislauf

Die gerade erworbenen Fähigkeiten geben uns die Möglichkeit, einen Wirtschaftskreislauf in Form einer Bilanzdarstellung zu betrachten. Im Folgenden wird ein monetärer Kreislauf anhand eines vereinfachten Beispiels dargestellt, welches ohne Zentralbank, Regierung und Zinsen auskommt. Dies vermittelt einen ersten Einblick in die Geldschöpfung der Geschäftsbanken.1 Ein ähnliches Beispiel findet sich z.B. in dem Buch von Dirk Ehnts (2016).

Die Akteure des folgenden Beispiels sind ein Unternehmen, das Arbeitskräfte nachfragt, ein Haushaltssektor, der Arbeitskräfte anbietet, und eine Bank, die finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Gehen wir zunächst davon aus, dass ein Unternehmer einen Kredit in Höhe von 100 € aufnimmt. Der Vorgang der Kreditschöpfung verläuft derart, dass die Geschäftsbank dem Unternehmer Einlagen in Höhe von 100 € auf seinem Konto gutschreibt. Die Einlagen sind aus Sicht des Unternehmers ein Aktivposten (Guthaben), der Kredit ein Passivposten (Verbindlichkeit). Für die Geschäftsbank verhält es sich umgekehrt. Der Kredit ist eine Forderung gegenüber dem Unternehmer und die Einlagen sind Verbindlichkeiten (das Unternehmen kann die Bank jederzeit dazu auffordern, die Einlagen in Bargeld zu tauschen). Der gesamte Vorgang der Kreditvergabe ist im obersten Teil der Abbildung 7 dargestellt.

Abbildung 7: Ein monetärer Kreislauf

1. Schritt

Die Bank schöpft einen Kredit und schreibt diesen auf dem Konto des Unternehmens gut.

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 \euro& Einlagen Unternehmen& 100 \euro \end{tabular}

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Unternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 100 \euro & Kredite & 100 \euro \end{tabular}

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Haushalte}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 0 \euro & Nettovermögen & 0 \euro \end{tabular}

2. Schritt

Das Unternehmen fragt Arbeit aus dem Haushaltssektor nach und bezahlt diese mit dem Kredit.

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 \euro& Einlagen Haushalte& 100 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Unternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Produktion & 100 \euro & Kredite& 100 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Haushalte}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 100 \euro & Nettovermögen & 100 \euro \end{tabular}

3. Schritt

Der Haushaltssektor kauft den Unternehmen ihre Produktion ab und konsumiert diese.

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 100 \euro& Einlagen Unternehmen& 100 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Unternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 100 \euro & Kredite& 100 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Haushalte}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 0 \euro & Nettovermögen & 0 \euro \end{tabular}

4. Schritt

Das Unternehmen zahlt den Kredit zurück. Der geschaffene Kredit verschwindet wieder.

 \begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Bank}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Kredite & 0 \euro& Einlagen & 0 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Unternehmen}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 0 \euro & Kredite& 0 \euro \end{tabular}

\begin{tabular}[t]{p{5cm}R{1.2cm}|p{5cm}R{1.2cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Haushalte}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Einlagen & 0 \euro & Nettovermögen & 0 \euro \end{tabular}

Im nächsten Schritt fragt das Unternehmen nun Arbeit aus dem Haushaltssektor nach, die es mit dem aufgenommenen Geld bezahlt. Die Einlagen wandern dann vom Unternehmens- in den Haushaltssektor, was zu einem positiven Nettovermögen von 100 € führt. Die Haushalte produzieren im Gegenzug für den Unternehmer. Durch die Bezahlung haben die Haushalte Einlagen in ausreichender Höhe erhalten, um dem Unternehmenssektor die Produktion abzukaufen, was sie im dritten Schritt unseres Beispiels auch tun. Hierdurch gelangen die Einlagen wieder auf das Unternehmenskonto und können im letzten Schritt zur Rückzahlung des Kredites verwendet werden. Durch die Rückzahlung ist das Geld genau so wieder vernichtet worden wie es vorher geschaffen wurde. Allerdings ist während des gesamten Prozesses eine Produktion im Wert von 100 € entstanden, die von den Haushalten konsumiert wurde.

In diesem Beispiel haben wir zur Vereinfachung auf einen Unternehmergewinn verzichtet. Man könnte den Unternehmer als Privatperson auch dem Haushaltssektor zuschreiben, so dass in den 100 € Verdienst sowohl der Lohn der Arbeitnehmer als auch der Unternehmerlohn enthalten ist. Trotz der Einfachheit lassen sich aus dem Beispiel einige Erkenntnisse ableiten: Zunächst einmal ist es offenkundig völlig normal, dass man sich verschuldet. Der Kredit stellt einen Vorschuss auf zukünftige Gewinne dar und wird bei Bedarf von der Privatbank geschaffen.2 Hierzu ist, wie wir später sehen werden, eine Mindestreserve von Zentralbankgeld notwendig, die sich die Geschäftsbank bei Bedarf von der Zentralbank leihen muss. Der Kreditschöpfung geht selbstverständlich eine Bonitätsprüfung voraus. Es wird also nur dann ein Kredit geschöpft, wenn ein kreditwürdiger Kreditnehmer vorhanden ist. Zudem lässt sich aus dem Beispiel erkennen, dass Geld nicht nur regelmäßig geschaffen, sondern auch regelmäßig vernichtet wird (immer dann, wenn ein Kredit zurückgezahlt wird). Zu guter Letzt zeigt dieses Beispiel, dass die Haushalte nur dadurch in der Lage sind, dem Unternehmen seine Produktion abzukaufen, weil sie über ihren Verdienst an der Wertschöpfung beteiligt werden.

Beispiel 2: Vermögenspreisblasen

Mit Hilfe des Bilanzierungsansatzes lassen sich auch die Auswirkungen von Vermögenspreisblasen darstellen. Nehmen wir an, dass der Wert der Immobilien unserer Beispielperson um 300 € steigt, weil Spekulationen den Preis in die Höhe treiben. Dies würde zur Folge haben, dass sich ihr Nettovermögen um 300 € auf 410 € erhöht:

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 800 \euro& Hypotheken & 500 \euro\\ Aktien & 100 \euro & Nettovermögen & 410 \euro\\ Bankeinlagen & 10 \euro & & \end{tabular}

Die Person könnte nun vermutlich einen zusätzlichen Hypothekenkredit aufnehmen, weil die Sicherheit in Form des Hauses im Wert gestiegen ist. Nehmen wir an, der Hypothekenkredit wird ebenfalls um 300 € erhöht:

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 800 \euro& Hypotheken & 800 \euro\\ Aktien & 100 \euro & Nettovermögen & 410 \euro\\ Bankeinlagen & 310 \euro & & \end{tabular}

Die zusätzlichen Einlagen könnte unsere Beispielperson nun abheben und dazu verwenden, Konsumgüter zu kaufen. Da sich das Nettovermögen aufgrund der Immobilienwertsteigerung fast vervierfacht hat, sieht sie positiv in die Zukunft und rechnet eventuell sogar mit weiteren Wertsteigerungen. Aufgrund dessen gibt sie die dazugewonnenen Einlagen für Konsumgüter aus, also für Güter, die verbraucht werden. Zum Beispiel für gutes Essen, teure Opernbesuche oder einen Wochenendtrip nach Disneyland. Nehmen wir an, auf die eine oder andere Weise entstehen so Ausgaben in Höhe von 200 €. Hierdurch reduziert sich der Bestand an Einlagen, so dass die Bilanz folgendermaßen aussieht:

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 800 \euro& Hypotheken & 800 \euro\\ Aktien & 100 \euro & Nettovermögen & 210 \euro\\ Bankeinlagen & 110 \euro & & \end{tabular}

Das Nettovermögen der Person ist immer noch größer als vor der Immobilienpreissteigerung. Die höhere Kreditsumme muss langfristig aus dem laufenden Einkommen gezahlt werden, welches den Einlagenbestand erhöht. Im Notfall könnte man aber auch das Haus verkaufen und sich etwas günstigeres suchen oder Aktien veräußern, um an Bargeld zu kommen.

Problematisch wird die Situation aber, wenn die Immobilien wieder auf ihren Ursprungswert von 500 € fallen, z.B. nach Platzen einer Immobilienblase. Nun hat der Haushalt ein Nettovermögen von -90 € und es droht die Privatinsolvenz:

 \begin{tabular}{p{2.5cm}R{1.5cm}|p{2.5cm}R{1.5cm}} \multicolumn{4}{c}{\textbf{A}\hfill\textbf{Privatperson}\hfill\textbf{P}}\\ \hline Immobilien & 500 \euro& Hypotheken & 800 \euro\\ Aktien & 100 \euro & Nettovermögen & -90 \euro\\ Bankeinlagen & 110 \euro & & \end{tabular}

Reichen die laufenden Einnahmen (i.d.R. Lohneinkommen) nicht aus, um die Raten der Hypothek zu bezahlen, muss die Person Immobilien oder Aktien veräußern, um liquide Mittel für die Tilgung zu erhalten. Da in einer Krise i.d.R. die Arbeitslosigkeit ansteigt, ist es kein unwahrscheinliches Szenario, dass einige verschuldete Haushalte nur noch ein geringeres Einkommen erzielen können. In einer Finanzkrise verkaufen zudem sehr viele Personen, Banken, Investoren und Unternehmen ihre Vermögenswerte, um ihre Liquidität zu erhöhen. Wenn nun aber sehr viele gleichzeitig ihre Vermögenswerte veräußern wollen und nur wenige bereit sind, diese zu kaufen, dann führen diese Notverkäufe zu einem immer schnelleren Fall der Vermögenspreise und verstärken so das Ausgangsproblem, da sich nun die Bilanzen einer immer größer werdenden Menge von Wirtschaftssubjekten verschlechtern.

Was aber hätte man anders machen können? Unsere Beispielperson hätte nach Anstieg des Hauspreises die Hypothekensumme nicht erhöhen sollen. Solange aber eine Mehrheit der Wirtschaftssubjekte positiv gestimmt ist und durch immer umfangreichere kreditfinanzierte Häuserkäufe die Preise weiter in die Höhe treibt, wird niemand einen Grund dazu haben, sich Sorgen über den Fall von Häuserpreisen zu machen. Erst wenn schlechte Neuigkeiten (z.B. über die Bonität von Schuldnern) immer mehr Menschen zum Verkauf treiben, fallen die Preise plötzlich und immer schneller. Dieses Herdenverhalten ist charakteristisch für Finanzmärkte und lag der Finanzkrise in den 1930er Jahren ebenso zugrunde wie der aktuellen.

MERKE
  • Eine Bilanz ist immer ausgeglichen. Auf der Aktivseite werden die Vermögenswerte (Forderungen) verbucht und auf der Passivseite die Verbindlichkeiten. Die Restgröße stellt bei Privatpersonen das Nettovermögen dar (bei Unternehmen das Eigenkapital).
  • Man kann Aktiv- und Passivseite auch als Verwendung und Herkunft von Positionen bezeichnen.
  • Ein Aktivtausch betrifft nur Positionen auf der Aktivseite, ein Passivtausch nur solche, die sich auf der Passivseite befinden.
  • Eine Bilanzverlängerung (-verkürzung) betrifft Aktiv- und Passivseite gleichermaßen. Die Bilanzsumme erhöht (verringert) sich.
Übungsaufgaben/Quizzes

Literatur

GODLEY, W. UND M. LAVOIE (2007). Monetary Economics – An Integrated Approach to Credit, Money, Income, Production and Wealth, Palgrave MacMillan.
EHNTS, D. (2016). Geld und Kredit – eine €-päische Perspektive, Metropolis, 2nd ed.

 

Einführung

Spätestens mit der globalen  Finanzkrise wurde das Interesse an der Funktionsweise unseres Geldsystems auch in der breiten Öffentlichkeit geweckt. Für den Laien ist es kaum nachvollziehbar, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte. Allerdings ist auch innerhalb der ökonomischen Zunft nach Platzen der amerikanischen Immobilienblase deutlich geworden, dass man die fundamentalen Zusammenhängen einer Geldwirtschaft allzu lange vernachlässigt hatte. Was-ist-Geld.de hat sich zum Ziel gesetzt, diese grundsätzlichen Zusammenhänge möglichst einfach aufzubereiten. um einen niedrigschwelligen Einstieg auch für Laien zu ermöglichen. Hierzu stehen Ihnen sieben „Module“ zur Verfügung, die aufeinander aufgebaut sind. Am Ende jedes Moduls gibt es einige Quizzes, mit denen Sie das Gelernte überprüfen können. Bevor es losgeht, soll im Folgenden zunächst der Aufbau dieses Blogs erläutert werden.

Aufbau

„Geld“ kann je nach Blickwinkel bzw. Art der Fragestellung verschiedene Formen annehmen.  Um Missverständnisse zu vermeiden, werden wir daher zunächst wichtige Begriffe im Zusammenhang mit Geld definieren müssen, da es für das Verständnis monetärer Beziehungen essentiell ist, sehr präzise mit eben jenen Begriffen umzugehen.  Der einführende Abschnitt beginnt daher zunächst mit den verschiedenen Formen sowie den definierenden Eigenschaften von Geld. Wir werden feststellen müssen, dass es nicht die eine wahre Gelddefinition gibt, sondern verschiedene Geldformen abhängig von der zu untersuchenden Fragestellung Vor- und Nachteile bieten.

Zudem ist es hilfreich, einige Grundlagen der Buchhaltung zu verstehen, da Geld letztlich auf dem Konzept der doppelten Buchführung basiert. Das zweite Modul (Buchführung) wird daher eben jene Grundlagen vermitteln, die für das Verständnis von Geld von Nöten sind. Um diese kurze Erläuterung nicht allzu trocken zu gestalten, werden diese Grundlagen direkt am Beispiel der Geldschöpfung  privater Banken erklärt.

Der dritte Teil (Geld und Vermögen) wird schließlich auf unwiderlegbare Zusammenhänge und typische Denkfehler hinweisen, die häufig enstehen, weil Begriffe rund um das Thema Geld (Brutto- und Nettogeldvermögen, Konsum und Ersparnis etc.) unpräzise verwendet werden. Diese Denkfehler stehen einem grundlegenden Verständnis des Geldsystems häufig im Weg.

Im vierten Modul dieses Blogs werden wir anhand der gesamtwirtschaftlichen Buchhaltung erklären, warum eine Geldvermögensbildung in einem Sektor einer Volkswirtschaft nur dann möglich ist, wenn alle anderen Sektoren sich in der Summe in exakt gleicher Höhe verschulden. Aus diesem unwiderlegbaren Zusammenhang werden wir die sogenannten „Finanzierungssalden“ ableiten, die sehr anschaulich die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge einer Geldwirtschaft darstellen.

In den finalen drei Abschnitten (Geldpolitik I-III) wird dann eine kurze Einführung in die Funktionsweise einer Zentralbank erfolgen. Dies ist lediglich als Einstieg in die Materie gedacht und gewiss keine umfassende Abhandlung aller geldpolitischer Instrumente und ihrer Möglichkeiten sowie Grenzen.  Es sollen lediglich die wichtigsten Funktionen und Begriffe im Zusammenhang mit moderner Geldpolitik skizziert werden, um über die größten Denkfehler und Mythen in diesem Bereich aufzuklären.

Unter Links sind schließlich Links zu interesannten und weiterführenden Blogs zum Thema Geld zu finden.

Das Wesen des Geldes

Eine Einführung in die Funktionsweise von Geld beginnt i.d.R. mit der Tauschmittelfunktion. In einer reinen Tauschwirtschaft würden Waren gegen Waren getauscht werden. So kann ich als Dozent der Volkswirtschaftslehre meinem Bäcker einen Vortrag über die Funktionsweise des Geldsystems anbieten, wenn er mir im Gegenzug dafür Brötchen für den Rest des Monats liefert. Ist der Bäcker einverstanden, so kann der Tausch von statten gehen. Geld wird hierzu offensichtlich nicht benötigt.

Geld braucht es erst dann, wenn ein Tausch nicht abgeschlossen werden kann, weil die Beteiligten sich nicht auf einen Tausch von Waren einigen können. Dies wird offensichtlich eher die Regel als die Ausnahme sein. Für einen reinen Tausch bräuchte man nämlich eine Koinzidenz der Bedürfnisse („Coincidence of Wants“): Wenn 2 Personen miteinander tauschen, müsste die eine ein Gut verlangen, welches die andere im Überfluss besitzt, während diese wiederum etwas begehrt, was der ersten Person im Überfluss zur Verfügung steht. Diese Koinzidenz müsste zudem räumlich wie auch zeitlich gelten. Stellt eine Person Waren her, die nur im Sommer gefertigt werden, und eine andere Waren, die nur im Winter gefertigt werden, dann kann allein die zeitliche Differenz dazu führen, dass beide Personen keinen Tausch von Waren vollziehen können. Händler haben sich daher schon immer gegenseitig einen Zahlungsaufschub gewährt. Wird dieser Zahlungsaufschub in Form eines Schuldscheins notiert, kann unter gewissen Umständen (die wir weiter unten diskutieren) dieser Schuldschein zu einem allgemein akzeptierten Zahlungsmittel werden. Geld ist also ein Schuldverhältnis. Früher wurden solche Schuldscheine zum Markt gebracht,  um sie dort gegenseitig aufzurechnen.

Vermutlich wird der Bäcker im vorangegangenen Beispiel gar kein Interesse daran haben, einen Vortrag von mir zu hören. Er würde wohl eher dazu bereit sein, mir Brötchen zu liefern, wenn er mir dann nur nicht mehr zuhören müsste. Daher zahle ich seine Brötchen in Geldeinheiten, mit denen der Bäcker einer dritten Person Waren abkaufen kann, usw. In diesem Beispiel ist Geld also ein allgemein akzeptierter Schuldschein, den ich dem Bäcker überreiche und den dieser an Dritte weitergeben kann. Letztlich kann man alles als Geld verwenden, solange es als allgemeines Zahlungsmittel akzeptiert wird. Unter diesen Umständen kann der Bäcker mit meinem Schuldschein nämlich andere Schuldverhältnisse auflösen, also seine Rechnungen gegenüber Dritten begleichen. Die Voraussetzungen, die für diese Funktion erfüllt sein müssen, werden wir noch kennen lernen.

Es ist unbestreitbar, dass eine zeitliche und räumliche Koinzidenz i.d.R. nicht der Fall ist und eine Marktwirtschaft ohne Geld nicht funktionieren würde. Daher liegt die Vermutung nahe, dass es eine reine Tauschwirtschaft nie gegeben hat. Nehmen wir an, es gäbe noch kein Geld, aber ich möchte trotzdem bei dem Bäcker einkaufen. Wenn der Bäcker mich kennt und mir vertraut, würde er mir vermutlich – vergleichbar mit den oben erwähnten Händlern – einen Zahlungsaufschub gewähren. Ich würde die Brötchen anschreiben können. Der Bäcker notiert also in Geldeinheiten, dass ich ihm etwas schuldig bin, das ich zu einem späteren Zeitpunkt liefere. Der Bäcker gibt mir in diesem Moment also einen Kredit.1 Auf diese Art und Weise haben Händler schon lange vor Einführung des heutigen Papier- und Buchgeldes Waren getauscht.

Zum Beispiel fungierten sogenannte Kerbhölzer bereits im 11. Jahrhundert als frühe Form der buchhalterischen Erfassung von Schuldverhältnissen. Kerbhölzer waren längliche Brettchen, auf denen man Symbole oder Kerben quer über das Stück einritzte. Das Stück wurde dann der Länge nach zerteilt und jede Partei erhielt eine Hälfte, damit niemand den eingeritzten Wert fälschen konnte. Der Schuldner erhielt i.d.R. das längere Stück, den sogenannten „Foil“, während der Gläubiger das kürzere Ende, den „Stock“ erhielt. Aus jener Zeit stammt das Sprichwort „etwas auf dem Kerbholz haben“ sowie auch der Begriff der „Stock-Exchange“. Die englische Regierung nutzte im 18. Jahrhundert sogenannte „tally sticks“, um sich Gold und Silber von ihren Bürgern zu leihen. Da man mit diesen Kerbhölzern seine Steuern bezahlen konnte, wurden die tallies fortan als allgemeines Zahlungsmittel akzeptiert und repräsentierten eine Form von Geld.

Es lässt sich also vermuten, dass Märkte und Frühformen von (Buch-)Geld gleichzeitig entstanden, da ein Markt ohne Geld nicht vorstellbar ist. Eine reine Tauschwirtschaft hat es also vermutlich nie gegeben. Es liegt zudem die Vermutung nahe, dass es schon einfache Verrechnungssyteme gabe, bevor Edelmetalle, wie Gold und Silber, als Zahlungsmittel dienten. Die folgende Abbildung zeigt wie die damaligen Kerbölzer ausgesehen haben.

Abbildung 1: Kerbhölzer (Tally Sticks)
Quelle: Schweizer Alprechtshölzer: Doppeltessel der Alp Blümatt (Turtmann VS), 1893; Kollektion des Alpinen Museums der Schweiz; Photo by Sandstein.

Formen und Eigenschaften von Geld

Allein dieses historische Beispiel zeigt bereits anschaulich, dass Geld viele Formen annehmen kann. Eine eindeutige Definition von Geld wird heute noch schwieriger, da es eine Fülle von Vermögenswerten gibt, die in Geldeinheiten notiert sind und sich kurzfristig durch einen Verkauf „zu Geld machen lassen“. Hierzu zählen z.B. sogenannte geldnahe Forderungen gegenüber einer Geschäftsbank, die zwar nicht sofort verfügbar sind, aber in relativ kurzer Zeit gegen Einlagen getauscht werden können (z.B. Termineinlagen, Kündigungsgelder, Festgelder oder Sparguthaben mit gesetzlicher Kündigungsfrist). Je nachdem, welches ökonomische Problem man analysieren möchte, kann es angemessen sein, solche Forderungen oder auch Wertpapiere als Geld oder Quasi-Geld zu bezeichnen.

Auch die deutsche Zentralbank, die sich Bundesbank nennt, verwendet 3 unterschiedliche Gelddefinitionen (M1 – M3), die sich in ihrer „Liquiditätsnähe“ unterscheiden, also darin, wie schnell man über sie verfügen kann. Dazu kommt noch die Geldbasis M0, das sogenannte Zentralbankgeld (auch als Reserven bezeichnet). Hierunter versteht man das Geld, welches nur von der Zentralbank herausgegeben werden kann und primär zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs im System der Geschäftsbanken (sogenannter Interbankenmarkt) verwendet wird. Die Bundesbank, weist auf ihrer Homepage auf die Schwierigkeiten der Geldmengendefinition hin:2

Da die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Einlagearten und kurzfristigen Finanzinstrumenten fließend sind, lässt sich die Geldmenge nicht eindeutig definieren. Letztlich hängt es beispielsweise von der Fragestellung einer Untersuchung ab, welche Einlagearten man zum Geld rechnet und welche nicht bzw. welche Geldmenge man in der Untersuchung verwendet. Vor diesem Hintergrund haben andere Länder ihre Geldmengen nach anderen Kriterien definiert, beispielsweise die Schweiz und die USA.

Tabelle 1 fasst die verschiedenen Geldmengenaggregate nach Definition der Bundesbank zusammen. Jede Zentralbank definiert ihre Geldmengenaggregate etwas anders, aber in den meisten Fällen sehr ähnlich. Es gilt grundsätzlich das Prinzip: Je höher die Nummer des Aggregats, desto breiter gefasst ist die Geldmenge, also desto längerfristigere Geldanlagen werden berücksichtigt. Ein weiteres Geldmengenaggregat, welches leider nur selten Verwendung findet, ist der sogenannte Divisia-Index von William Barnett (siehe z.B. Barnett und Spindt (1979)). Dieser basiert auf einer nach Nutzbarkeit gewichteten Summe verschiedener Geldformen und wird bisher nur von der Bank of England regelmäßig veröffentlicht.

Tabelle 1: Geldmengenaggregate der Bundesbank

 \renewcommand{\arraystretch}{1.7} \begin{tabular}{rp{12cm}} \hline \hline \textbf{M0}:& Geldbasis (Bargeldumlauf und Reserven)\\ \textbf{M1}:& Bargeldumlauf + Sichteinlagen in Banken \\ \textbf{M2}:& M1 + Spareinlagen mit einer Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten und Termineinlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren.\\ \textbf{M3}:&M2 + weitere kurzfristige Geldanlagen (kurzfristige Bankschuldverschreibungen (mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu zwei Jahren), von Geldmarktfonds ausgegebene Geldmarktfondsanteile sowie die sogenannten Repogesch\"afte).\\ \hline \hline \end{tabular}

Die Hierarchie des Geldes und die zwei Geldkreisläufe

Moderne Geldsysteme sind zweistufig aufgebaut. Sie bestehen aus einem Reserven- und einem Giralgeldkreislauf. Aus Sicht des Kunden einer Bank ist Giralgeld das, was man als Geld bezeichnet. Niemand würde in Frage stellen, dass das Guthaben auf einem Bankkonto Geld darstellt, weil wir es im täglichen Zahlungsverkehr verwenden und jederzeit Eins-zu-Eins in Bargeld tauschen können. Für den Banker hingegen stellen die Einlagen Verbindlichkeiten dar. Kunden können jederzeit eine Auszahlung verlangen und leihen der Bank ihr Geld, solange es auf dem Girokonto verbleibt.

Für den Zahlungsausgleich mit anderen Banken benötigt eine Bank hingegen Reserven, also Zentralbankgeld. Aus ihrer Sicht sind Reserven das „wahre“ Geld, mit dem sie ihren Zahlungsverkehr abwickeln. In der Definition der größer gefassten Geldmengenaggregate aus Tabelle 1 werden auch längerfristige Termineinlagen, kurzfristige Bankschuldverschreibungen, Geldmarktfonds und Repo-Geschäfte als Geld gezählt. Dies sind z.T. auch Kreditverträge zwischen privaten Unternehmen. Zählt man weitere private Nicht-Banken-Finanzierung hinzu, wie Investmentfonds oder die Möglichkeit über Unternehmensanleihen Geld aufzunehmen etc., lässt sich eine Pyramide des Geldes konstruieren wie sie in Abbildung 2 zu sehen ist.

Abbildung 2: Geldpyramide (Pyramide der Verbindlichkeiten)
Quelle: Eigene Erstellung.

Für jede Geldform gilt, dass sie ein Versprechen darstellt, die Geldform der jeweils nächsthöheren Ebene zu bezahlen. Kredite sind Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Einlagen zu zahlen. Einlagen sind Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Bargeld, also Zentralbankgeld, zu zahlen. Und Zentralbankgeld war früher das Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt Gold zu zahlen. Gold war die einzige international anerkannte Währung, in der man Handel abrechnen konnte und stand in der Hierarchie des Geldes noch über dem Zentralbankgeld an der Spitze der Geldpyramide.3 Im Englischen spricht man häufig von der „moneyness“, also der „Geldigkeit“, wenn man die Hierarchie des Geldes beschreibt. Zentralbankreserven haben gemäß der Pyramide den höchsten Grad der moneyness (im Inland).

Eine weitere Eigenschaft der Geldhierarchie ist, dass die unteren Ebenen die jeweils höhere Art des Geldes vervielfachen. Ein Handelskredit, also ein Zahlungsaufschub von zum Beispiel 90 Tagen, ist ein Versprechen, in 90 Tagen Einlagen zu zahlen. Er benötigt aber zum Zeitpunkt der Kreditvergabe keine Einlagen. Der Kreditnehmer wird vielleicht einen Teil der Einlagen schon jetzt besitzen und erwartet bis zum Zahlungszeitpunkt ausreichende zusätzliche Einnahmen. Oder er geht davon aus, den Kredit „überrollen“ zu können, also durch einen neuen Kredit zu ersetzen. So oder so ist die Kreditmenge gestiegen, ohne dass Einlagen benötigt wurden. Noch deutlicher wird dies am Beispiel einer Kreditkartenzahlung. Im Moment der Zahlung entstehen für eine Transaktion zwei Kreditverträge. Zum einen leiht die Kreditkartenfirma ihrem Kunden bis zum Monatsende den nötigen Betrag, um den Zahlungsvorgang abzuschließen. Zum anderen leiht der Verkäufer der Kreditkartenfirma den gleichen Betrag, da die Überweisung i.d.R. erst nach einigen Tagen erfolgt.

Die Geldpyramide ist zudem dynamisch zu verstehen. Die Kreditvergabe weitet sich i.d.R. in Boomphasen aus und schrumpft in Krisen („Bust“) wieder.4 Die Zentralbank versucht mit ihrer Zinspolitik auf diesen dynamischen Prozess Einfluss zu nehmen. Eine Zinserhöhung in Boom-Phasen macht die Neuaufnahme von Krediten unattraktiver und soll so vor einer Kreditblase und steigenden Preisen schützen, während die Zinssenkung in Krisenzeiten nicht nur die Investitionen anregen soll, sondern auch die Refinanzierung von laufenden Krediten einfacher macht. Wenn ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen zum vereinbarten Zeitpunkt nicht nachkommen kann, weil es in der Rezession weniger Einnahmen macht als erwartet, kann es seine kurzfristigen Liquiditätsprobleme durch einen günstigen Bankkredit in die Zukunft schieben, in der Hoffnung, dass sich die Lage bis dahin wieder bessert. Durch eine Zinssteuerung versucht die Zentralbank demnach, sowohl die Flexibilität dieses Systems zu gewährleisten (Banken können Kredite nach Bedarf schöpfen), als auch disziplinierend auf Banken zu wirken (indem sie ggf. die Zinsen für Kredite der Banken bei der Zentralbank erhöhen).

Die Zentralbank ist  so etwas wie die Bank der Geschäftsbanken und besitzt gesetzlich das Monopol auf die Emission einer Währung. Da Bargeld in Form von Münzen und Scheinen heute nur noch einen sehr geringen Teil der gesamten Geldmenge ausmacht, ist das Monopol auf die Schaffung der Reserven das wesentliche Merkmal einer Zentralbank. Reserven sind das offizielle Zahlungsmittel im Geldkreislauf zwischen Zentralbank und Geschäftsbankensektor. Der Privatsektor kann niemals mit Reserven bezahlen, da diese nur im Buchungssystem zwischen Zentralbank und den Geschäftsbanken getauscht werden. Reserven können von Banken aber jederzeit bei der Zentralbank gegen Bargeld getauscht werden. Bargeld stellt demnach die einzige Form von Zentralbankgeld dar, die auch im Privatsektor verwendet werden kann. Die beiden Geldkreisläufe sind in Abbldung 3 dargestellt.5

Abbildung 3: Geldkreisläufe
Quelle: Eigene Erstellung.

Da Reserven und Bargeld nur von der Zentralbank (und nicht vom Privatsektor) geschaffen werden, spricht man auch von „Outside Money“ oder „Außengeld“. Es existiert aber ein zweiter Geldkreislauf zwischen (nicht-finanziellen) Unternehmen, Haushalten und Banken, in dem das von Banken geschaffene Giralgeld (auch als Buchgeld bezeichnet) als Zahlungsmittel fungiert. Da dieses Geld von den privaten Banken geschöpft wird, bezeichnet man es auch als „Inside Money“ oder „Binnengeld“. Banken haben in diesem System offensichtlich eine Sonderfunktion, da sie die Schnittstelle zwischen beiden Geldkreisläufen darstellen und als einziger Akteur sowohl Reserven als auch Buchgeld in ihren Bilanzen führen (auf unterschiedlichen Seiten). Wie wir in den letzten Abschnitten sehen werden, halten Banken Reserven als Guthaben bei der Zentralbank und schaffen Einlagen als Verbindlichkeit gegenüber ihren Kunden.

Aber ist es nicht ganz schön riskant, den privaten Banken die Möglichkeit zu eröffnen, eigenständig Geld zu schaffen? Sollte man nicht lieber wieder dafür sorgen, dass Geld durch Gold gedeckt wird, so dass Banken die Guthaben ihrer Kunden in Form von Gold vorrätig halten? Wie wir am Beispiel der Kerbhölzer gesehen haben, braucht es zur Schaffung eines Kredits nicht einmal eine private Bank. In Phasen des sogenannten Goldstandards, in denen die Zentralbank versicherte, Geld in einem vorher festgelegten Verhältnis gegen Gold zu tauschen, entstanden regelmäßig Liquiditätsengpässe, weil die Zunahme der Handelsaktivität nicht von einer Zunahme der Geldmenge begleitet wurde. Um letzteres zu gewährleisten hätte es zusätzliches Gold gebraucht. Häufig wurde dann der Goldstandard aufgegeben oder Händler schrieben sich gegenseitig Schuldscheine, z.B. in Form von Wechseln, um der Geldknappheit zu entkommen. Ohne Geldschöpfung im privaten Bankensektor könnten sich solche Phasen wiederholen. Dies wäre für den Handel eine sehr schädliche Entwicklung. Andererseits sollte klar sein, dass eine völlig unkontrollierte private Geldschöpfung große Probleme verursachen kann (wie die globale Finanzkrise eindrucksvoll gezeigt hat). Wir werden zu der Frage nach der Bedeutung des Geschäftsbankensektors sowie der Rolle der Zentralbank im sogenannten Interbankenmarkt in den letzten 3 Modulen dieses Blogs zurückkehren.

Funktionen und Preise von Geld

Doch was macht Geld nun tatsächlich zu Geld? Die meisten Nichtökonomen müssen sich über solche Fragen keine Gedanken machen. Für sie ist Geld die Summe aus Münzen, Scheinen und dem, was sich auf ihren Bankkonten befindet. Da Sichteinlagen für den überwiegenden Teil des allgemeinen Zahlungsverkehrs verwendet werden können, gehören sie klar zur Gelddefinition dazu. Letztlich stellen Einlagen aus Sicht eines Bankkundens zirkulationsfähige Forderungen gegenüber der Bank dar, die auch von allen anderen Wirtschaftssubjekten zur Bezahlung akzeptiert werden. Es handelt sich um einen digitalen Schuldschein des Bankensystems, der in der Privatwirtschaft zum Erwerb von Gütern und Dienstleistungen verwendet werden kann. Der Grund der Akzeptanz eines Geldes wird in den meisten Lehrbüchern der Geldtheorie auf folgende Eigenschaften bzw. Funktionen zurückgeführt:

(i) Es ist allgemeine akzeptiertes Tauschmittel, da man es bei allen Händlern zum Tausch gegen Waren und Dienstleistungen verwenden kann.

(ii) Es ist Zahlungsmittel, da man mit ihm Rechnungen begleichen, also Schuldverhältnisse auflösen, kann.

(iii) Es ist Wertaufbewahrungsmittel, weil man es vorrätig halten kann, um seine Zahlungsfähigkeit zu erhalten.

(iv) Es ist die allgemeine Recheneinheit, da man alle Güter und Dienstleistungen in Geldeinheiten bewertet und ihre Preise so miteinander vergleichen kann.

Wie sich leicht erkennen lässt, beeinflussen sich die einzelnen Funktionen des Geldes gegenseitig. Es wäre als Tausch- und Zahlungsmittel sicher nicht akzeptiert, wenn es keine Wertbeständigkeit hätte. Würde man nicht einschätzen können, welche Kaufkraft ein Euro in der Zukunft besitzt, würde man ihn wohl kaum im Tausch gegen Güter akzeptieren. Als Recheneinheit würde Geld nicht funktionieren, wenn es keine Tauschmittelfunktion hätte. Lassen sich Waren und Dienstleistungen nicht mit Hilfe von Geld erwerben, ist es offensichtlich auch unmöglich, diese in Geldeinheiten zu bewerten und zu vergleichen.

Die Funktion der Wertaufbewahrung wird von der Inflationsrate, also der Preissteigerungsrate, beeinflusst, da höhere Preise dazu führen, dass man mit der gleichen Geldmenge weniger Güter erwerben kann. Daher ist eine niedrige Inflationsrate ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik, um die Akzeptanz von Geld als Wertaufbewahrungsmittel sicher zu stellen. In Zeiten hoher Inflationsraten kann es auch andere Objekte geben, welche die Zahlungsmittelfunktion von Geld übernehmen. Häufig dienen dann Gold oder andere Edelmetalle als Wertaufbewahrungsmittel, oder Sachanlagen wie Häuser, das sogenannte Betongold. Jedoch haben auch diese Vermögenswerte keine konstante Kaufkraft, da ihr Wert, also ihr Preis relativ zu anderen Gütern, Schwankungen unterliegt. Während des Aufbaus der großen Immobilienblase im Vorfeld der globalen Finanzkrise, sind die Immobilienpreise stark angestiegen und haben so das Vermögen vieler Haushalte zunächst erhöht. Der plötzliche Zusammenbruch der Immobilienpreise nach Ausbruch der Finanzkrise hat dieses Vermögen aber wieder „vernichtet“.6 Dies hatte schwerwiegende Folgen, da sich viele Hauseigentümer Hypothekenkredite aufgenommen hatten, bei denen die Immobilie als Sicherheit hinterlegt wurde.

Seit einigen Jahren erfreuen sich digitale „Währungen“ wie Bitcoins einer immer größer werdenden Beliebtheit. Gerne behaupten Befürworter dieses Vermögenswertes, dass die politische Unabhängigkeit der digitalen Währungen der große Vorteil dieser neuen Geldform wäre. Da die Geldmenge sich nicht manipulieren lasse, seien diese „Währungen“ wertbeständiger. Schaut man sich die Entwicklung der Preise solcher digitalen Konstrukte an, erscheint dieses Argument aber sehr schnell entkräftet. Der mangelnde politische Einfluss auf digitalen Währungen ist die große Achillesferse dieser Vermögenswerte, da ihr Preis hierdurch vollständig den Schwankungen der Nachfrage nach ihnen ausgeliefert ist. Da man Bitcoins im allgemeinen Zahlungsverkehr nicht verwenden kann, muss man seine Bitcoins zuvor in Sichteinlagen umtauschen. Der Preis dieses Umtausches unterliegt so enormen Schwankungen, dass man heute nicht vorhersagen kann wie der Wert der Währung morgen aussieht. Im Vergleich hierzu sind sowohl Höhe als auch Volatilität der Konsumentenpreisinflation, an der man die Wertbeständigkeit von Einlagen festmachen kann, ausgesprochen gering. Als allgemeines Zahlungsmittel sind Bitcoins daher unbrauchbar. Und niemand kann versichern, dass die Bewertung von Bitcoins nicht genau so einbricht wie die der Immobilien in der Finanzkrise. Wir werden sehen, dass es einer Institution wie der Zentralbank bedarf, um die Geldwertstabilität zu sichern. Es sind insbesondere jene „Manipulationen“ der Geldmenge, die von den Befürwortern digitaler Währungen immer kritisiert werden, die eine Wertbeständigkeit sicherstellen.

Die gerade dargestellten Überlegungen machen klar, dass die Inflationsrate Einfluss auf den Wert von Geld nimmt. Sie stellt daher einen Preis von Geld dar. Es gibt aber noch andere Kennzahlen, die man als Preis des Geldes bezeichnen kann. Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Perry Mehrling führt insgesamt 4 Preise von Geld ein, die sich auf den relativen Wert zum Bargeld beziehen:7

(i) Der Preis von Einlagen ist i.d.R. pari, da man Einlagen Eins-zu-Eins gegen Bargeld tauschen kann. Bargeld und Einlagen haben daher den gleichen Wert. Dies kann in Krisenzeiten durchaus außer Kraft gesetzt werden. Wenn eine schwere Finanzkrise beispielsweise dazu führt, dass alle Kunden gleichzeitig ihre Einlagen abheben wollen, kann es passieren, dass die Bank ab einen gewissen Punkt die Herausgabe von Bargeld verweigert oder zumindest einschränkt. In diesem Fall kann man seine Einlagen gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt in Bargeld tauschen.

(ii) Ein weiterer Preis ist der Zinssatz, weil er bestimmt, welchen Preis man für ein Darlehen zu zahlen hat. Ein Kreditnehmer verpflichtet sich, das Darlehen zzgl. des Zinses in der Zukunft zurückzuzahlen.

(iii) Der Wechselkurs bestimmt den Preis für ausländisches Geld, da er angibt, wie viel ausländische Währung man gegen eine bestimmte Summe inländischer Währung tauschen kann.

(iv) Der letzte Preis des Geldes ist die oben bereits angeführte Inflationsrate, die über die zukünftige Kaufkraft von Geld entscheidet.

Viele Ökonomen legen besonderen Wert auf die institutionelle Fundierung von Geld. Demzufolge hat Geld die oben aufgeführten Eigenschaften primär deswegen, weil die Regierung alle Bürger zwingt, die eigens eingeführte Währung als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Dies kann der Staat tun, indem er alle Zahlungen wie Einkommens- und Mehrwertsteuer, Gebühren und Strafen, usw. nur in der von ihm festgelegten Währung akzeptiert. Georg Friedrich Knapp begründete mit der Veröffentlichung der „Staatlichen Theorie des Geldes“ in 1905 den sogenannten Chartalismus (Charter = Urkunde, also verbrieftes Geld, siehe Knapp (2018)).8

Die staatliche Souveränität bestehe ihm zufolge aus drei Monopolen: Die nationale Währung als Preis- und Recheneinheit festzulegen, die Zahlungsmittel auszugeben und die damit verbundenen Geldschöpfungsgewinne zu realisieren. Letzteres bezeichnet man auch als Seignorage. Ursprünglich entstand Seignorage dadurch, dass die Kosten der Münzherstellung unter dem Wert der Goldmünze lagen. Benötigt man zum Herstellen einer Zwei-Pfund Münze gerade einmal Gold im Wert von einem Pfund, so erzielt man pro Münze einen Gewinn von einem Pfund. Dieser Gewinn wurde dadurch realisiert, dass die Regierung das Geld nutzte, um ihre Ausgaben zu bestreiten, also Waren im Wert von 2 Pfund damit erwarb.

Da Münzen im heutigen Zahlungsverkehr so gut wie keine Rolle mehr spielen, wird Seignorage heutzutage meist mit den Zinsgewinnen der Zentralbank oder des Bankensektors gleichgesetzt. Jedoch handelt es sich bei den Gewinnen aus der Kreditvergabe um keine wirkliche Seignorage, sondern um die Bezahlung der Dienstleistungen der Zentral- und Geschäftsbanken (vglb. mit der Bezahlung eines Notars). Aus den Einnahmen des Kreditgeschäfts werden die Mitarbeiter sowie alle weiteren Kosten (Mieten etc.) gezahlt.

Geld wird nur deswegen allgemein anerkannt, weil die Regierung es als Zahlungsmittel akzeptiert. Weil jeder Bürger Steuern und Gebühren in der von der Regierung bestimmten Währung zahlen muss, hat jeder ein Interesse daran, gerade diese Währung als Zahlunsgmittel zu verwenden. Die Modern Monetary Theory (MMT) hat auf dieser Erkenntnis aufbauend eine Theorie entwickelt, die Geld als Steuergutschrift betrachtet (vergleichbar mit den Kerbhölzern in England). Staat und Zentralbank sind demnach die Schöpfer des Geldes und alle anderen lediglich die Nutzer.9

MERKE
  • Mäkte sind ohne irgendeine Form von Geld bzw. Schuldverhältnissen kaum vorstellbar. Vermutlich wird es Frühformen von Geld geben, seitdem es Märkte gibt.
  • Moderne Geldsysteme sind zweistufig aufgebaut und bestehen aus einem Reservenkreislauf zwischen Zentralbank und Geschäftsbanken, sowie einen Giralgeldkreislauf zwischen Banken und Privatsektor.
  • Geld hat diverse Eigenschaften bzw. Funktionen, die sich aus der institutionellen Fundierung von Geld ableiten lassen (eine Währung wird von der Regierung als offizielles Zahlungsmittel festgelegt).
Übungsaufgaben/Quizzes

Literatur

BARNETT, W. A. UND P. A. SPINDT (1979). “The velocity behavior and information content of Divisia monetary aggregates,” Economics Letters, 4, 51–57.
KNAPP, G. (2018). Staatliche Theorie Des Geldes, Makroskop Mediengesellschaft mbH: Wiesbaden.